„Marketing und Kampagnen“ - jüdische Verleger-Geschichte im Fokus

Erscheinungsdatum: 05.10.2017

Acht Studierende aus dem Seminar „Marketing und Kampagnen der Sozialen Arbeit“ der Hildesheimer HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit haben eine Ausstellung und ein Begleitheft über das Leben des jüdischen Verlegers Werner Guttentag (1920 – 2008) realisiert, die ab 10. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse zu sehen sein wird.

Unter der Leitung von Dozent Dr. Andreas Hohmann setzen sich die Studierenden dabei nicht nur mit der Herstellungstechnik für die insgesamt zwölf Thementafeln auseinander, sondern auch mit der Thematik des Antisemitismus, der Flucht, der Dritten Welt und vielen anderen Aspekten. „In Zeiten, wo die Zeitzeugen schwinden, können museale Präsentationen helfen, um Geschichte an Jugendliche zu vermitteln“, beschreibt Hohmann. Die Person Werner Guttentag sei dafür ein gutes Beispiel.

 

Die Studierenden hätten eine Leistung gezeigt, die weit über die angegeben Semesterwochenstunden gegangen sei, betont Hohmann. Marketing für die Soziale Arbeit umfasse die Planung, Umsetzung und Evaluation von Aktivitäten nichtkommerzieller Einrichtungen. In dem Seminar werde der Facettenreichtum von Marketing als Instrument in der Sozialen Arbeit an praktischen Beispielen aufgezeigt.

In diesem Seminar ging es um das Leben des jüdischen Verlegers Werner Guttentag zwischen Deutschland und Bolivien.

Was die Studierenden über Guttentags Leben zusammengetragen haben:
Werner Guttentag entdeckt seine Liebe zu Büchern ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten im Dritten Reich die Bücher verbrennen. Seinen Berufswunsch, Bibliothekar zu werden, verwehren ihm die nationalsozialistischen Rassengesetze, aber Werner Guttentag ist kein Mensch, der klein beigeben will. Widerstand bestimmt sein Leben. Mit zwölf Jahren schließt sich Werner Guttentag einer linksgerichteten Widerstandsgruppe an, um etwas gegen den Nationalsozialismus zu tun. Er wird Mitglied der Freien Deutschen Jüdischen Jugend (FDJJ).

Obwohl der Widerstand gegen die Nationalsozialisten gefährlich ist, engagiert er sich nach seinen Möglichkeiten. Die Gruppe veröffentlicht auch Artikel von im Ausland erschienenen Zeitungen, die die wirkliche Lage in Deutschland beschreiben sowie gesellschaftskritische Gedichte. 1938 muss Guttentag Deutschland verlassen. Über die Niederlande gelangt er 1939 nach Bolivien. Dort – wieder mit Antisemitismus durch eingewanderte Deutsche konfrontiert – leistet er mit anderen jüdischen Flüchtlingen wieder Widerstand.

Seinen Lebensunterhalt verdient er bis 1945 mit Gelegenheitsjobs, bis er seinen ersten Buchladen in Cochabamba eröffnet. Das ist angesichts des Umstandes, dass rund neunzig Prozent der Bevölkerung nicht lesen kann, mehr als ein Wagnis. Seine Bücher bezieht er zunächst aus Argentinien, da es in Bolivien noch keinen Verlag gibt. 1950 bittet ihn sein Freund, der Schriftsteller Jesús Lara, seinen Roman „Surumi“ zu veröffentlichen. Das ist die Geburtsstunde des Verlags „Los Amigos del Libro“.

Mit seiner Verlagstätigkeit macht sich Werner Guttentag nicht nur Freunde. Seine zumeist linksgerichtete Ausrichtung stößt häufig auf Widerstand der rechtsgerichteten bolivianischen Politik, die in den 1960er und 1970er Jahren die Regierung stellt. 1971 wird er sogar kurzzeitig inhaftiert. Häufig werden seine Bücher beschlagnahmt und verbrannt. Guttentag trifft auf Klaus Barbie – dem Mörder seiner Freunde aus dem Widerstand. Er beteiligt sich an den Aktivitäten, um dessen Auslieferung nach Frankreich zu erreichen - und wird hineingezogen in den Strudel im Kampf um Che Guevara.

Für Werner Guttentag waren gedruckte Worte der Schlüssel zum Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit und Ignoranz. Er sieht in ihnen ein Sprachrohr, nicht nur um Missständen zu begegnen, sondern auch um der Bevölkerung Boliviens (mehrheitlich Indigene) Selbstbewusstsein und ihren Stolz zurückzugeben, indem er ihre Geschichte, ihre Traditionen, eingebettet in die Schönheit und Vielfältigkeit ihres Landes, veröffentlicht.

Werner Guttentag glaubte an die Macht der Bücher, finanzielle Sorgen und Bedrohungen seiner Person können diesen Glauben, bis er 88-jährig verstirbt, nicht erschüttern. Das Verlagsmotto war: „Nicht zu lesen, was Bolivien produziert, bedeutet verkennen, was Bolivien ist.”

„In unserem Marketing-Seminar verbinden die Kunst, in der praktischen Umsetzung ein intelligentes und überzeugendes Zusammenspiel der Inhalte und aller Teile aus dem Werkzeugkasten des Marketings zu inszenieren und umzusetzen“, beschreibt Dozent Hohmann. Ein Problem für Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sei dabei häufig – so zeige die Praxis – die technische und professionelle Umsetzung des Kommunikationsmittels, wie etwa ein Flyer oder ein Plakat – oder in diesem Fall gleich eine ganze Ausstellung. Der Sozialen Arbeit mangele es nicht an Ideen oder Kreativität, vielmehr fehle es am Selbstvertrauen bei der technischen Umsetzung. „In der heutigen reizüberfluteten Medienwelt zählt leider nicht mehr nur der gute Wille, die gute Tat oder Idee, sondern diese müssen auch gut umgesetzt werden“, betont Hohmann, „in den letzten Jahren haben wir in diesem Seminare gemeinsam mit zahlreichen sozialen Institutionen aus der Region Hildesheim kleine Marketing-Aufgaben bearbeitet. Diese reichten vom Konzept für Kampagnen bis zur Gestaltung von Flyern, Plakaten und Werbefilmen.“ Berücksichtigt werde dabei auch immer die Arbeitswelt der Sozialen Arbeit. Ziel des Seminars sei es nicht, aus zukünftigen Sozialarbeiter/inne/n Marketingexpert/inn/en zu machen, sondern ein Verständnis für Marketing zu vermitteln.

Die Studierenden Janet Fremgen, Ilektra Giachnaki, Jessica Lindner und Manon Raabe gestalteten den Katalog und Ole Bessel, Nicole Prietzel, Lena Rebentisch und Ann-Kathrin Schulz konzipierten die Ausstellung.

Gezeigt wird sie aus Respekt vor der Lebensleistung Werner Guttentags vom 10. bis 15. Oktober 2017 auf der Frankfurter Buchmesse in Halle 5.1 am Stand A 89. Die Buchmesse trägt die Kosten und stellt den Messestand zur Verfügung. Anschließend wandert die Ausstellung durch zahlreiche weitere Institutionen.

Am 8. November 2017 um 14.00 Uhr wird die Ausstellung dann im Foyer der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit (Brühl 20) eröffnet und für 14 Tage zu sehen sein. Führungen durch die Ausstellung können bei Dr. Andreas Hohmann angefragt werden.