Erscheinungsdatum: 24.07.2006

Bilanz eines aufwändigen Semesterprojektes: \\\"Raumarbeit Arbeitsraum\\\" der HAWK-Fakultät Gestaltung in der Bunsenstraße 14 hinterlässt kreative Spuren

Hildesheim hat ein schräges Kunstprojekt erlebt, das blinde Fensterscheiben zum Kaleidoskop gemacht und Impulse in einen schwierigen Stadtteil gebracht hat. Bei den Akteurinnen und Akteuren, Studierende und ihr Professor von der Fakultät Gestaltung an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, hat es aufs heftigste Phantasie und Herz bewegt – Grenzen verschoben. Das Seminar „Arbeitsraum Raumarbeit“ von Prof. Hans Lamb ist jetzt zu Ende. Es hat nicht im Hörsaal der Hochschule, sondern in einem unbewohnten und heruntergekommenen Haus in Fahrenheit stattgefunden und es wird Spuren im Lebenslauf der angehenden Gestalter hinterlassen.

„Das soll Studieren sein?“, mag sich manch einer äußerst skeptisch angesichts der ungewohnten Aktivitäten in der Bunsenstraße 14 gefragt haben. Die Bunsenstraße ist eine tote Straße im sozialen Brennpunkt Fahrenheit. Niemand wohnt dort mehr. Generalsanierung ist der Plan der Besitzerin, der „Wertinvestition Immobilien GmbH“. Bis dahin stehen die völlig verwohnten Wohnungen leer und so hatte Hans Lamb die Vision vom Raum und seinen Möglichkeiten. Die Wertinvestition stellte ihm die Nummer 14 für das gesamte Sommersemester zur Verfügung.

Hans Lamb ist Professor für zwei- und dreidimensionale Gestaltungsgrundlagen. Er lehrt seit einem Jahr an der HAWK-Fakultät Gestaltung. Zuvor arbeitete er im Bereich Bildhauerei an der Universität Aachen. Studiert hat er Pädagogik und freie Kunst an der Universität Mainz.

Das Projekt „Arbeitsraum Raumarbeit“ steht im Lehrplan des HAWK-Studiengangs Gestaltung unter der Überschrift „Plastische Gestaltung -Projekt/Experiment“. Was die Studierenden für ihr Berufsleben dabei lernen sollen, lässt sich in zwei Bereiche einteilen. Zum einen allgemeine Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Problemlösungsstrategien, Zeitmanagement zu innovativen/kreativen Aufgabnestellungen. Zum anderen geht es in künstlerisch-designerischer Hinsicht um spezielle Kompetenzen: Raum als physisches, psychologisches, mythisches, mystisches Phänomen mit kultureller, ästhetischer und sozialer Relevanz zu begreifen. Wahrnehmungsschulung, eigene künstlerische Arbeit und Entwicklung außerhalb bekannter Aufgabenstellung sind weitere Stichworte. Soweit die Theorie.

15 Studierende haben sich von dem umfassenden Anspruch Lambs nicht schrecken lassen. Denn klar war eines: Es wird richtig viel Arbeit, der Professor hatte nämlich nicht die Absicht, seine Studenten quasi im Atelier Bunsenstraße 14 nur ein wenig „künstlern“ zu lassen. Die Rauminstallationen sollten der Stadt Hildesheim auch präsentiert werden, die Studierenden sollten die „Bunsen-Eventreihe“ organisieren, sprich, gleich noch Veranstaltungsmanagement in Kooperation mit anderen Kulturschaffenden lernen.

Oft haben sie die Nächte durchgearbeitet. Ein Studium besteht schließlich nicht nur aus diesem einzigen Seminar. Die Phantasie wurde ihr wichtigster Begleiter. Denn die Aufgabe, ohne Geld für Materialien eine attraktive Installation zu schaffen, hat schon ihren ganz eigenen Charme. So gehörte die Sponsorensuche auch noch zum Projekt und es fanden sich weitsichtige Partner: die Hildesheimer Firmen Stulle, Mätschke, Bahr und Kühn sowie das Sarstedter Unternehmen KAPPA- Wellpappe unterstützten das Projekt.

Was schließlich für die Stadt sichtbar wurde, waren die sechs öffentlichen Veranstaltungen „Raumfilme“, „Rauminstallationen Teil 1“, „Raumklang“, „Raumlesung“, „Rauminstallationen Teil 2“ und eine weitere Präsentation im Rahmen des Stadtteilfestes Fahrenheit. Zu den Events kamen insgesamt ca. 300 Besucher in die Nummer 14 – ein riesiger Erfolg. Zugegeben, es seien eher weniger die Bewohner des Viertels, als mehr Kunstinteressierte gewesen, räumt Lamb ein. Nachbarn aus anderen Straßen hätten jedoch ihre eigene Form der Unterstützung gezeigt: „Wer vorbeikam, erkundigte sich, was wir da so machen. Jemand brachte uns spontan Chips“, erzählt er. Das habe die Gruppe möglicherweise ebenso bewegt wie die entstandenen Kooperationen mit dem Stadtteiltreff „Broadway“, der Hildesheimer Lesebühne, Hildesheimer Musikern, dem Kunstverein Via 113 oder der Uni Hildesheim.
Die künstlerischen Ergebnisse spiegelten denn auch die Intensität und den Facettenreichtum des Projektes wider. Es ging darum, den Raum nicht als Nichts zu begreifen, sondern beim Betrachter „den Schalter der Wahrnehmung umzulegen“, drückt Lamb es aus – frei nach Alberto Giacometti, einem Bildhauer der klassischen Moderne. Dieser hatte den Satz geprägt: „Die Dinge sind die Löcher im Raum.“

So hat beispielsweise Philipp Meckel eine sehr überraschende Idee realisiert, Raum darzustellen. Er hat einen riesigen, geschlossenen Pappkarton gebaut und in den Raum gehängt. Der Karton verdrängt den Raum und macht ihn dadurch sichtbar. Die Installation hatte den Titel „frei schwebender Raumfresser“. Marc-André Weibezahn hat einen Raum fast vollständig abgedunkelt und den Eingang mit doppelten schwarzen Vorhängen abgeschirmt. Im Raum verläuft ein schmaler Laufsteg bis fast zur gegenüberliegenden Wand. Der Boden rund um den Steg ist komplett mit Altglasscherben bedeckt, die die letzten Lichtreflexe streuen.

Strahlendes Grün haben dagegen Laura Lenk und Nina Schymczyk für ihre Installation gewählt. Sie hängen Säulen aus grün bespannten Kunststoffbändern in ihren Raum und setzen damit farbige Akzente. Nicole Langner arbeitet ebenfalls mit Farbe, allerdings etwas drastischer: Sie hat weiße Bettlaken kunstvoll in einen Raum gespannt und die Besucherinnen und Besucher werfen mit orangener Farbe gefüllte Luftballons an Wände und Laken. So mancher zögerte, das unberührte Weiß mit Macht zu bespritzen. Das Ergebnis dieser interaktiven Kunstproduktion war allerdings äußerst reizvoll. Eine andere Idee, mit Raum zu spielen, war der überdimensionale Einkaufswagen aus Sperrholz, der gleichzeitig Raum nimmt und gibt. Sie stammt von Jana Kleine-Kalmer und Anna Moldt.

Hans Lamb ist mit dem Projekt insgesamt außerordentlich zufrieden. Er räumt freimütig ein, dass es auch für ihn als Coach ein Entwicklungsprozess war, zwischen „Fordern und Fördern", zwischen dem Durchsetzen von Visionen und dem Akzeptieren von Grenzen immer einen guten Weg zu finden“.

Nicole Langner, die im dritten Semester Metallgestaltung studiert, beschreibt diesen Weg aus ihrer Sicht: „Durch den hohen Anspruch und die sehr offene Aufgabenstellung wurde man stark gefordert. Das war zwar mitunter etwas anstrengend, aber führte auch zu guten Ergebnissen. Mich hat dieses Projekt in meiner kreativen Entwicklung vorangebracht.“ Ihr Kommilitone Marc-André Weibezahn vergleicht das
Projekt mit „normalen“ Seminaren: „Das sehr freie Arbeiten war ein starker Kontrast zu den Kursen des ersten Bachelor-Semesters mit seinen dem Schulunterricht ähnlichen Strukturen. Das Gefühl der Eigenverantwortlichkeit hat mich beim Überprüfen meiner Ideen auch oft zu einer Auseinandersetzung mit meinem Kunstverständnis gezwungen.“
„Unsere Studierenden werden Designer“, sagt Hans Lamb, „das heißt, ihre Arbeit hat feste Bezüge wie Wünsche der Auftraggeber, Höhe des Budgets oder funktionale Festlegungen. Sie arbeiten kreativ, aber mit Grenzen. Doch nur wer einmal die freie Kunst, wie bei unserem Projekt, durchlebt hat, stößt auch für designerische Arbeiten eine neue Tür im Kopf auf.“

Hans Lamb denkt schon über ein nächstes Projekt nach: einen Skulpturenweg durch Fahrenheit.


Ein Sommersemester lang waren in der Bunsenstraße 14 fast zu Hause:

Markus Engel, Nicole Langner, Philipp Meckel, Jan Van Houtte, Agdalena Pajonk, Nina Schymczyk, Laura Lenk, Wilma Pingel, Julian Hensch, Jana Kleine-Kalmer, Anna Moldt, Jessica Diez, Martin Stütz, Gülsah Gülmez und Marc-André Weibezahn.

Bilanz eines aufwändigen Semesterprojektes: "Raumarbeit Arbeitsraum" der HAWK-Fakultät Gestaltung in der Bunsenstraße 14 hinterlässt kreative Spuren Hängende Säulen aus grün bespannten Kunststoffbändern: die Installation von Laur Hängende Säulen aus grün bespannten Kunststoffbändern: die Installation von Laur