Ergotherapie-Studentinnen stellen Projekt bei ENOTHE-Konferenz in Zagreb vor

Erscheinungsdatum: 27.11.2017

Wie finde ich einen Hausarzt? Wofür brauche ich eine Krankenkassenkarte? Kann ich als Ärztin meinen Beruf auch hier ausüben? Für Menschen mit Fluchterfahrung ist das deutsche Gesundheitssystem erst einmal fremd. Fünf HAWK-Studentinnen und fünf Studieninteressierte mit Fluchthintergrund widmeten sich diesem Problem in einem gemeinsamen Projekt. Jetzt haben die Studentinnen das Ergebnis bei einer Konferenz des European Network of Occupational Therapy in Higher Education (ENOTHE) präsentiert.

HAWK-Dozentin und Projektleiterin Dr. Sandra Schiller hatte bereits im vergangenen Jahr ein Studienprojekt zu Gesundheitsinformationen für Geflüchtete durchgeführt. Damals hatten die Studierenden die Informationsveranstaltungen allein entwickelt und in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorgestellt.

 

„Im Nachhinein fehlte mir dabei die Perspektive der Geflüchteten“, erinnert sich Schiller heute. Darum arbeiteten die Studentinnen der aktuellen Projektgruppe in diesem Jahr gemeinsam mit Studieninteressierten, die selbst aus ihren Heimatländern geflüchtet sind. Die beiden Gruppen sollten dabei voneinander lernen und Informationsveranstaltungen konzipieren, die besser an die Bedürfnisse von Geflüchteten angepasst sind. Eine der Teilnehmerinnen ist Diana Kadi aus Syrien. Sie hat gerade den Intensiv-Sprachkurs Deutsch von HAWK Open absolviert und möchte bald ihr Masterstudium im Bereich Lebensmittelchemie beginnen. „Ich habe mich für das Projekt interessiert, weil ich gerne anderen Geflüchteten helfen möchte“, erklärt die studierte Agrarwissenschaftlerin. Außerdem habe sie durch den Kontakt zu den deutschen Studierenden auch an eigener Sprachkompetenz dazugewonnen.

Collaborative Learning heißt die Methode, mit der Studierende und Studieninteressierte zusammenarbeiteten. Die Studierenden lernten dabei, wie fremde Sichtweisen und Erfahrungen ihre Arbeit positiv beeinflussen können. Bewusst gingen alle Teilnehmer/innen mit wenig Vorbereitung in die ersten gemeinsamen Treffen. Ziel war es herauszufinden, welche Informationen Menschen mit Fluchthintergrund benötigen und wie man diese, trotz Sprachbarriere und unterschiedlicher Kulturen, verständlich präsentieren kann. „Die Studierenden sollten ihre Rolle so erfahren, dass sie gerade nicht die Experten sind“, erklärt Schiller den Ansatz.

Während des Projektes sind drei Informationsveranstaltungen in Hildesheim entstanden, an denen jeweils zwischen 20 und 30 Menschen mit Fluchthintergrund teilnahmen. Die Themen der Veranstaltungen, die Aufbereitung der Informationen und die Präsentationen wurden zusammen erarbeitet. Durch den Austausch von Erfahrungen, Wissen und Perspektiven erlebten die Studierenden und die Geflüchteten dabei einen gemeinschaftlichen Lernprozess.
„Dass das Thema Ernährung für die Menschen so wichtig ist, hat uns zum Beispiel sehr überrascht“, erinnert sich Schiller. „Die Menschen kommen hier her und wissen gar nicht, was es für Einkaufsmöglichkeiten gibt“, erklärt Kadi. Außerdem sei es für Muslime schwierig zu erkennen, in welchen Produkten sich Gelatine und Alkohol verbergen. Auch die vielen verschiedenen Bio- und Regionalitätssiegel seien erst einmal verwirrend. Tatsächlich war die Veranstaltung zum Thema Ernährung die erfolgreichste. 30 Menschen mit Fluchthintergrund kamen zum gemeinsamen Kochen. Bei den anderen beiden Informationsveranstaltungen ging es um Ausbildungsmöglichkeiten in Gesundheitsberufen und das deutsche Gesundheitssystem.

Für die fünf Ergotherapie-Studentinnen, die an dem Studienprojekt teilnahmen, gab es zum Abschluss noch ein besonderes Highlight. Sie durften ihr Projekt beim Annual Meeting des ENOTHE in Zagreb vorstellen. Die Konferenz, die jedes Jahr in einem anderen europäischen Land stattfindet, dient der Vernetzung von Ergotherapeuten, Studierenden und Ausbildungsstätten. Eine Teilnehmerin aus der Projektgruppe ist Mareike Haensch. „Es war schon aufregend, in einer Session auf der Konferenz mit englischen Muttersprachlern zu präsentieren“, erinnert sie sich. Doch das Fachpublikum habe sich sehr für das Projekt interessiert. „Es war schön, so in der Runde aufgenommen zu werden.“

Für das nächste Jahr plant Dr. Sandra Schiller wieder ein ähnliches Studienprojekt. Dann will sie den Fokus noch mehr auf den unmittelbaren Austausch zwischen Studierenden und Geflüchteten legen. „Für mich ist deutlich geworden, wie gut sich die Projektbeteiligten gegenseitig in Lernprozesse bringen, zum Nachdenken und zur Perspektiverweiterung anregen können. Die Unterstützung von Menschen mit Fluchterfahrung gewinnt in der Ergotherapie in Deutschland und international seit einiger Zeit an Bedeutung.“