Wissenschaftler/innen diskutieren die Herausforderung der Land-Stadt-Beziehungen

Erscheinungsdatum: 11.01.2018

Die Beiträge der Fachtagung „Land und Stadt - Lebenswelten und planerische Praxis“, die von der Göttinger HAWK-Fakultät Ressourcenmanagement und der Abteilung Humangeographie des Geographischen Instituts der Georg-August-Universität am 24. November 2016 gemeinsam durchgeführt wurde, sind jetzt im Band 121 der Göttinger Geographischen Abhandlungen zusammengefasst erschienen.

Die Tagung fand als 5. Forum Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung an der HAWK statt. Diese Veranstaltungsreihe wurde im Rahmen des HAWK-Masterstudiengangs Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung entwickelt und hat das Ziel, Wissenschaftler/innen, Berufspraktiker/innen aus Planung, Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung sowie Studierende zusammen zu bringen.

 

Inhaltliches Ziel der Fachtagung „Land und Stadt - Lebenswelten und planerische Praxis“ war es, die Lebenswelten von Land und Stadt im Kontext der aktuellen Transformationsprozesse zu beleuchten sowie ausgewählte Herausforderungen und Perspektiven für rurale und urbane Räume aufzuzeigen. Darüber hinaus ging es um die Frage, ob in der planerischen Praxis die Veränderungen der Lebenswelten ausreichend reflektiert werden und eine Weiterentwicklung der Planungsinstrumente bereits stattfindet.

In diesem Band finden sich sowohl die wissenschaftlichen Beiträge, die auf den Keynote-Vorträgen der Vertreterinnen und Vertretern der Geographie und Regionalentwicklung, der Stadt- und Regionalökonomie und Raumplanung beruhen, als auch die Darstellung von Fallbeispielen von Praktikern und Nachwuchswissenschaftlern aus der Regionalentwicklung.
 

Im Folgenden ein kurzer Überblick über die Beiträge:

In seinem einleitenden Beitrag betrachtet Ulrich Harteisen (HAWK) die Land-Stadt-Beziehungen vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart und verdeutlicht, dass die Land-Stadt-Dichotomien historische Wurzeln und sich in vielen Handlungsfeldern offenbar verfestigt haben. Diesen Raumbildern stehen eine Pluralisierung der Lebensstile und die funktionale Verknüpfung von Stadt und Land gegenüber, was die planerische Praxis vor eine Herausforderung stellt. Ulf Hahne (Universität Kassel) hebt in seinen Ausführungen hervor, dass sozioökonomische Veränderungen zukünftig einen immer größeren Einfluss auf den „spatial fix“ haben werden. Er diskutiert die Fragen: Wie passt Arbeiten und Wohnen zusammen, wo werden neue Gewerbegebiete ausgewiesen, wie wird Mobilität weiter entwickelt?

Angelina Göb (Akademie für Raumforschung und Landesplanung Hannover) und Frank Othengrafen (Universität Hannover) beleuchten das Tagungsthema aus raumplanerischer Sicht. Raumplanung wird hierbei als Bedingung und Ergebnis einer wechselseitigen Konstitution verstanden, die von unterschiedlichen Akteuren und kontextspezifischen Interessen beeinflusst ist. Vor diesem Hintergrund sollten Planerinnen und Planer v.a. darauf achten, dass Lebenswelten als (offenes) Produkt und als (offene) Praxis zwischen Planungs- und Alltagsexperten angesehen werden und Planung zunehmend als Strategie und „unfertiges Ideal“ zu begreifen ist.

Marit Schröder (Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Göttingen) stellt in Ihrem Beitrag die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit „Daseinsvorsorgeauftrag in Bürgerhand? Gleichwertigkeit in ländlichen Räumen sichern“ vor. Einer ihrer Befunde ist, dass die Bürgerinnen und Bürger längst auch selbst für ihre Daseinsvorsorge aktiv sind. Dies zeigt sich beispielsweise am Bereich der Mobilität, wo der „soziale Nahraum“, also die Nachbarschaft, an der Stelle mit „Bringen“ und „Holen“ durch das eigene Auto einspringt, wo ein Angebot der öffentlichen Hand, also beispielsweise ein Bus der Gemeinde, fehlt.

Thomas Wieland (Karlsruher Institut für Technologie) beleuchtet die Versorgungsstrukturen und Tragfähigkeit von Gesundheitseinrichtungen zur Daseinsvorsorge aus einer standortökonomischen Perspektive. Sein konkretes Untersuchungsbeispiel ist die Verteilung von Ärzten, Apotheken und psychologischen Psychotherapeuten in Südniedersachsen. Dabei zeigen sich Abhängigkeiten der Versorgungseinheiten: Wo beispielsweise noch ein Arzt angesiedelt ist, ist auch eher eine Apotheke, zum Teil auch ein Psychotherapeut vorhanden.

Michael Mießner (Universität Göttingen) und Tobias J. Klinge (Universität Frankfurt/M.) stellen unter dem Titel „Sozialräumliche Segregation in der Universitätsstadt Göttingen. Verdrängungsprozesse im Spannungsfeld von Investorenstrategien und sozial gerechter Wohnraumversorgung“ dar, inwiefern der Renditedruck auf dem Immobilienmarkt und die damit verbundenen Mietpreissteigerungen mitunter problematische Segregationsdynamiken zur Folge haben.

Die Teilnahmemotivation von landwirtschaftlichen Akteuren an LEADER-Aktionsgruppen in Niedersachsen thematisieren Benjamin Ebeling (Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Göttingen) und Swantje Eigner-Thiel (Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Göttingen). Erörtert werden dabei u.a. die Fragen, vor welchem sozio-kulturellen landwirtschaftlichen Hintergrund ein Engagement aus der Landwirtschaft insgesamt stattfindet, was an der LAG-Arbeit motiviert und was landwirtschaftsnahe Vertreterinnen und Vertreter an diesem Förderansatz kritisieren

Im abschließenden Beitrag zeigen Swantje Eigner-Thiel (Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Göttingen) und Ulrich Harteisen (Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Göttingen) auf, wie Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner ihre Lebensqualität einschätzen. Dazu werden Ergebnisse einer empirischen Interview-Studie vorgestellt, die u.a. den Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Selbstwirksamkeitsüberzeugung deutlich machen. Im zweiten Teil des Beitrags geht es um die Dorfmoderation, die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner qualifizieren soll, die Dorfentwicklung in die eigene Hand zu nehmen. Beschrieben werden Erfahrungen aus einem mehrjährigen Wissenschaft-Praxis-Dialog im Landkreis Göttingen, der eine Grundlage für die Entwicklung der Methode Dorfmoderation darstellt.

In allen Beiträgen wird deutlich, dass das Denken in Raumgegensätzen überwunden und die Region als Handlungs- und Gestaltungsraum noch stärker in den Mittelpunkt der formellen und informellen räumlichen Planung rücken sollte. Auch ist unverkennbar, dass sich die räumliche Planung in Zukunft noch stärker an aktuellen Veränderungsprozessen orientieren und lebensweltliche Bezüge aufgreifen muss. Die Planungskommunikation gewinnt in diesem Zusammenhang immer mehr an Bedeutung und sollte deshalb auch methodisch weiterentwickelt werden.

Die Frage nach der Entwicklung der Land-Stadt-Beziehungen ist aktuell auch in Südniedersachsen ein viel diskutiertes Thema. Einige Beiträge im Band beruhen auf empirischen Forschungsergebnissen aus Südniedersachsen.