Erscheinungsdatum: 08.12.2016

HAWK und Uni Göttingen: Tagung Lebenswelten und planerische Praxis in Stadt und Land

HAWK und Uni Göttingen: Tagung Lebenswelten und planerische Praxis in Stadt und Land

"Das Kunststück könnte sein, die gesetzlich geregelte räumliche Planung – die ich weiterhin für wichtig halte – geschickter und intelligenter mit neuen Instrumenten der Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung zu verknüpfen." Mit diesen Worten fasste Prof Dr. Ulrich Harteisen die verschiedenen Aspekte der HAWK-Fachtagung "Land und Stadt: Lebenswelten und planerische Praxis" zusammen. Harteisen vom Fachgebiet Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung der Göttinger HAWK-Fakultät Ressourcenmanagement hatte gemeinsam mit Prof. Dr. Christoph Dittrich von der Abteilung Humangeographie des Geographischen Institutes der Georg-August-Universität Göttingen in die HAWK geladen. Es ging darum, die planerische Praxis aus verschiedenen Kompetenzfeldern heraus zu beleuchten und durch Fallbeispiele aus Praxis und angewandter Forschung zu ergänzen.

In seinem einleitenden Vortrag zu Beginn der Tagung hatte Prof. Dr. Ulrich Harteisen erläutert, dass sich gesellschaftlich das zweigliedrige Raumbild von Großstädten auf der einen und ländlichem Raum mit Dörfern und Kleinstädten auf der anderen Seite verfestigt habe. An dieser Vorstellung orientiere sich auch die formelle und informelle Planung – in Form von Dorfentwicklung und Stadtplanung. Allerdings ständen diesem Raster die flexibleren Lebensformen der Menschen gegenüber. "Greift die räumliche Planung die lebensweltlichen Beziehungen überhaupt auf?" Dies sei, so Harteisen, eine der zentralen Fragen.

"Planung hält an allen Orten ein entsprechendes Angebot an Wohnflächen, sozial-technischer Infrastruktur und Grünflächen bereit, so dass ich davon ausgehe, dass die Grundvoraussetzung für die Abbildung der lebensweltlichen Beziehungen gegeben ist", antwortete Prof. Dr. Frank Othengrafen von der Universität Hannover aus raumplanerischer Sicht auf diese Grundsatzfrage. In einer zunehmend flexibilisierten Welt müsse man aber tatsächlich über neue planerische Konzeptionen nachdenken.

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Drei Fragen von HAWK-Radio an die Soziologin, den Experten für Raumplanung und den Regionalökonomen:
  • Welche Prozessregler und Treiber steuern die Raumentwicklung und ein verändertes Raumverhalten?
  • Ist es tatsächlich so, dass die räumliche Planung die lebensweltlichen Beziehungen aufgreift, analysiert und abbildet?
  • Wie könnte eine methodische und inhaltliche Weiterentwicklung der räumlichen Planung gestaltet werden: Themen, Methoden, Raumbezug?


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Und neue Konzeptionen dürften sich aus soziologischer Sicht auch nicht mehr nur mit Ausbau wie beispielsweise bei sogenannten Schwarmstädten und Wachstumsregionen, sondern müssten sich auch mit Rückbau in dünn besiedelten Regionen beschäftigen, sagte Prof. Dr. Claudia Neu von der Universität Göttingen. Diese Aufgabe sei bei Planern unbeliebt und zudem sei es natürlich 'unsexy', viel Geld für Rückbau auszugeben. Sie sehe oft die Situation, dass ein Rückbau deshalb dann auch nicht realisiert werde, obwohl er vielleicht die beste Lösung wäre.
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"Räumliche Planung ist ein wesentlicher Partner in dem Spiel, weil räumliche Planung die Flächen bereit stellt und die Funktionsbezüge beeinflusst und steuert", hatte zuvor auch Prof. Dr. Ulf Hahne von der Universität Kassel seinen Standpunkt aus ökonomischer Sicht ausgeführt. "Wie passt Arbeiten und Wohnen zusammen, wo werden neue Gewerbegebiete ausgewiesen, wie wird Mobilität weiter entwickelt? Das ist einerseits eine Festlegung der Raumbezüge, ihrer planerischen Kategorien und der Flächen, die es dafür gibt. Andererseits ist es eine Frage der Umsetzung, wie organisiere ich zum Beispiel die Zugangswege zu meinem neuen Logistikgebiet in Autobahnnähe, aber siedlungsfern? Hier muss die räumliche Planung im Konkreten mit den Lebenswelten bei den Menschen verknüpft werden", sagte Hahne. Seine These: "Die Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke ist nach wie vor zu groß. Alle Planungsebenen setzen sich zu wenig für das Reduktionsziel ein. Radikale Rückführungen wie in der Schweiz wären eine geeignete planerische Antwort."

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Dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsförderung und Stadt- bzw. Regionalplanung auch praktisch gelingen kann, zeigte Matthias Ullrich, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Hildesheim-Region (Hi-Reg) an einigen Beispielen. Ullrichs Maxime: "Wirtschaftsentwicklung und Planung: ziemlich beste Freunde".

Unternehmerische Tätigkeiten orientierten sich nicht nur an Verwaltungs- und geografischen Grenzen, sondern gehen in Punkto Fachkräftemangel, Beschaffungs- und Absatzmärkte sowie globale Konkurrenzbeziehungen über diese (planungsrechtlichen) Grenzen hinaus. Außerdem verschwömmen die Bereiche "Leben" und "Arbeiten" zusehends, so dass beispielsweise auch die ÖPNV-Anbindung eines Gewerbegebietes wichtig sein kann, um Fachkräfte zu gewinnen. Deshalb ist auch er der Meinung: "Ein stärkeres Miteinander zwischen Wirtschaftsentwicklung und Planung ist sinnvoll." Gerade die anwesenden angehenden Akademikerinnen und Akademiker sollten ausgetretene Pfade verlassen und sich ihrer Gestaltungsfähigkeiten bewusst sein, appellierte Ullrich.

HAWK-Absolventin des Masterstudiengangs Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung und Doktorandin Marit Schröder stellte die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit "Daseinsvorsorgeauftrag in Bürgerhand? Gleichwertigkeit in ländlichen Räumen sichern" vor. Einer ihrer Befunde war, dass die Bürgerinnen und Bürger längst auch selbst für ihre Daseinsvorsorge aktiv sind. Dies zeigt sich beispielsweise am Bereich der Mobilität, wo der "soziale Nahraum", also die Nachbarschaft, an der Stelle mit "Bringen" und "Holen" durch das eigene Auto einspringt, wo ein Angebot der Öffentlichen Hand, also bspw. ein Bus der Gemeinde, fehlt.

Dr. Thomas Wieland vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beleuchtete die Versorgungsstrukturen und Tragfähigkeit von Gesundheitseinrichtungen zur Daseinsvorsorge aus einer standortökonomischen Perspektive. Sein konkretes Untersuchungsbeispiel war die Verteilung von Ärzten, Apotheken und psychologischen Psychotherapeuten in Südniedersachsen. Dabei zeigten sich Abhängigkeiten der Versorgungseinheiten: Wo bspw. noch ein Arzt angesiedelt ist, ist auch eher eine Apotheke, zum Teil auch ein Psychotherapeut vorhanden. Die Erreichbarkeit von Apotheken mit dem Auto beträgt fast im ganzen Gebiet nur 5 bis 10 Minuten.

Prof. Dr. Christoph Dittrich von der Abteilung Humangeographie der Universität Göttingen hat die Veranstaltung moderiert. Die gut 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses 5. Forums "Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung" an der HAWK setzten sich aus Wissenschaftlern, Berufspraktikern aus Planung, Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung, darunter auch einige Alumni des Masterstudiengangs Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung sowie Studierenden der HAWK, der Hochschule Eberswalde und der Universität Göttingen zusammen. "Die Kernidee dieses Forums ist es, unseren Masterstudierenden eine Teilhabe am Dialog zwischen Wissenschaft und beruflicher Praxis zu gewähren, der auf Tagungen geführt wird, an denen üblicherweise Studierende gar nicht teilnehmen", erklärt Initiator Harteisen. Die lebendige Diskussion zwischen Referenten und Teilnehmern zeigte, dass dieses Ziel erreicht wurde.

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Fazit

Das 5.Forum "Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung" der Fakultät Ressourcenmanagement der HAWK am Standort Göttingen fand in Kooperation mit der Abteilung Humangeographie der Universität Göttingen statt. Die Verantwortlichen Prof. Dr. Christoph Dittrich und Prof. Dr. Ulrich Harteisen bei HAWK-Radio ziehen ihr persönliches Fazit.

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