Dr. Anna Lena Rademaker zur Bedeutung der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen

Erscheinungsdatum: 09.04.2020

Die Covid-19-Pandemie stellt auch die Lehrenden und Studierenden des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit im Gesundheitswesen gerade an der Schnittstelle von Sozialarbeit und Gesundheitsversorgung vor besondere Herausforderungen.

Was bedeutet die Kontaktsperre etwa für Menschen aus der Bevölkerungsgruppe mit gesundheitlichem, psychosozialem oder pflegerischem Unterstützungsbedarf? Wie kann mit dem Bedarf an psychosozialen Hilfen in der Corona-Krise und den Folgen der Pandemie aus Perspektive Sozialer Arbeit im Gesundheitswesen umgegangen werden? Und wie können die vorherrschenden Verhaltensregeln mit sozial benachteiligten Menschen verständlich und nachvollziehbar kommuniziert werden?

Drängende Fragen, die sich auch Dr. Anna Lena Rademaker bei der Planung ihrer Lehre stellt. Die Verwaltungsprofessorin für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen lehrt am Gesundheitscampus Göttingen, einer Kooperation der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der HAWK, Grundlagen der Disziplin und Profession Soziale Arbeit im Gesundheitswesen für die 34 Studierenden des noch jungen Studiengangs.

 

Die Online-Lehre möchte sie nun im Kontext von Covid-19 und den sich daraus für die Soziale Arbeit ergebenden Fragen ausrichten. „Denn die Pandemie bringt mit sich, dass wir unsere Schwerpunkte in der Lehre an aktuellen Herausforderungen ausrichten und damit beispielhaft Theorie und Praxis für die Studierenden anschaulich verknüpfen können“, erklärt Rademaker. „Die Soziale Arbeit ist im besonderen Maße herausgefordert, ihre Disziplin und Profession im Gesundheitswesen zu verdeutlichen und Kompetenzen zu vertreten. Das bedeutet zum Beispiel, auch kritisch zu hinterfragen, was Corona für ihre Praxis bedeutet.“ Wo und wie ist die Soziale Arbeit gefordert, welche digitalen Möglichkeiten haben Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Menschen zu beraten, die die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung erhalten haben oder auf der Straße leben? Trotz der aktuellen Situation sei laut Rademaker jedoch vor einem ‚blinden Aktionismus‘, analoge Beratung online oder via Telefon umzusetzen, zu warnen. Einerseits, da diese Beratungs- und Unterstützungsangebote Fachkräfte vor besondere Herausforderungen stellen, etwa in Bezug auf die Herstellung einer fachlichen Beziehung trotz sozialer Distanz. Andererseits, da Angebote strukturellen und rechtlichen Vorgaben unterliegen, die nicht durch den aktuell erhöhten Bedarf entfallen. Welche sozialrechtlichen Einschränkungen es hierbei zu beachten gibt und vieles mehr möchte Rademaker gemeinsam mit ihren Studierenden in den Blick nehmen.

Akuten Handlungsbedarf sieht Rademaker vor allem im Bereich der sozialen Teilhabe und Betreuung von Menschen mit Behinderung, von psychisch erkrankten oder Sucht erkrankten Menschen. „Diese Personengruppen sind in der sozialen Isolation besonders belastet – und je länger die Krise andauert, umso stärker wird sich ihre Situation verschärfen“, sagt die Wissenschaftlerin. Hier könne einerseits mit digitalen Beratungs- und Unterstützungsangeboten gearbeitet werden, dafür müsse aber auch die ausreichende Infrastruktur für die Soziale Arbeit sichergestellt sein. Anregungen bezieht Rademaker unter anderem aus der Praxis und in engem Austausch mit ihren Studierenden. Diese haben im Februar eine Praxisphase absolviert, die im Studiengang für die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Semester vorgesehen ist. „Sie waren in Krankenhäusern, Psychiatrien oder der Obdachlosenhilfe tätig“, erzählt Rademaker. „Wir werten ihre Erfahrungen nun im Seminar aus.“ Rademaker selbst ist neben ihrer Lehrtätigkeit für die HAWK Fachreferentin bei der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e. V. Über die Kooperation der DVSG mit dem Gesundheitscampus Göttingen ist die HAWK bundesweit vernetzt und hält sich so fachpolitisch auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen.

Rademaker betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig es sei, dass der neue Studiengang an der Schnittstelle von Sozialarbeit und Gesundheitswesen nun – wenn auch vorerst digital – im zweiten Semester laufe. „Ich freue mich darauf, mit den Studierenden im Seminarkontext aktuelle Fragen rund um die Corona-Pandemie praxisnah zu diskutieren, theoretisch zu fundieren und neue Ideen zu erarbeiten“, sagt sie. „Wir können damit einen Beitrag zur Professionalisierung Sozialer Arbeit  im Gesundheitswesen leisten.“

Die Jugend im Blick behalten

Neben Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen dürfe laut Dr. Anna Lena Rademaker auch die Jugend nicht aus den Augen verloren werden. „Wenn es um die Frage zur Gesundheit geht, übersehen wir diese in der Regel als gesund geltende Zielgruppe häufig“, sagt sie. Aufgrund ihres Arbeits- und Forschungsschwerpunkts im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe treibt sie zurzeit die Frage um, wie Gesundheitsförderung besonders gefährdeter Gruppen junger Menschen in der Krise gelingen kann. Etwa jener, die aufgrund von Bildungsbenachteiligung kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben oder derer, die den Großteil ihres Lebens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht haben und nun am Übergang in ein selbstständiges Leben stehen. „Hier erschwert es die aktuelle Situation, die ohnehin schon unzureichende Unterstützung aufrechtzuerhalten“, erklärt die Verwaltungsprofessorin.

Durch Corona sei ein deutlicher Rückgang des niedrigschwelligen Zugangs zu psychosozialer Beratung und Begleitung zu erwarten, weil die Soziale Arbeit ihre Tätigkeit in vielen personenbezogenen Dienstleistungen reduzieren oder einstellen musste und ehrenamtliche Dienste wegbrechen – vor allem im ambulanten Bereich, etwa in Form von sogenannter Streetwork, die einen wesentlichen Beitrag zur lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung leistet. Rademaker plädiert dafür, zum Beispiel (Online-)Schulungen für Fachkräfte anzubieten, um sie dabei zu unterstützen, mit sozial benachteiligten jungen Menschen den Dialog über Gesundheit und Gesundheitsverhalten in der Pandemie zu suchen. Im Gespräch könne der Einfluss des Alltags auf die Gesundheit in den Blick genommen werden, auch im Kontext von Corona: „Wie gehen wir mit der Kontaktsperre um? Wieso ist sie nötig?“, führt Rademaker an. „Es ist wichtig, gemeinsam mit den Jugendlichen die Hintergründe, etwa für Verhaltensregeln, die zum Schutz aller eingehalten werden sollten, zu diskutieren.“