Architektur abstrahieren

Die Vermittlung der konstruierten Materialität steht im Zentrum des Masterseminars „Architektur abstrahieren“. Die Studierenden setzen sich intensiv mit einem aktuellen Bauwerk auseinander und führen eine architektonische Analyse durch. Einzelne Parameter werden in abstrakten Zeichnungen dargestellt und lassen die architektonische Haltung sichtbar werden.

Jedes Semester steht ein besonderer Umgang mit Materialität im Spannungsfeld zwischen „Leicht und Schwer“ im Fokus der Betrachtung. Im Rahmen des Wintersemesters 2020/21 wurden Analysen von herausragenden Bauwerken angefertigt, die überwiegend in Holzmassivbauweise ausgeführt wurden. Zur Auswahl standen unter anderem Bauwerke von Bernardo Bader, Peter Zumthor, Bruno Fioretti Marquez, HK Architekten, Giovanni Netzer, Kühnlein Architektur.

 

Warum die Frage nach einer massiven Konstruktion? In der Architektur betrachten wir im Allgemeinen zwei Bauweisen, „massive“ und „filigrane“ Systeme. Bei den filigranen Ansätzen werden die konstruktiven Anforderungen meist durch Skelette und mehrere Schichten übernommen. Für Bauwerke mit temporärer Nutzung oder großen Spannweiten sind diese additiven, skelettartigen Strukturen von Vorteil. Wenn wir uns aber einer dauerhaften und kompakteren Bauweise bedienen möchten, dann ist die Massivbauweise oft von Vorteil. Die Massivbauweise ist stark in der Tradition des Bauens verwurzelt und kann durch ihre homogene bis hin zu monolithischer Einfachheit authentisch sein. Holzmassivkonstruktionen versprechen Vorteile in der Logistik, bei der einfachen Koordination von Gewerken und überzeugen durch positive bauphysikalische Eigenschaften.

Das Bedürfnis nach Architekturkonzepten aus massiven Systemen und vor allem aus Holz nimmt zu. Oft wird dies als Gegenpol zum Flüchtigen und Schnelllebigen unserer Zeit in Beziehung gesetzt. Der Wunsch nach Stabilität und Nachhaltigkeit lässt Architekten und Holzbaubetriebe sogar ganze Gebäude aus Holz bauen ohne auf die Hybridbauweise zurückzugreifen.

Im Zuge dessen, haben sich die Studierenden zunächst mit dem Begriff „Holz massiv“ auseinandergesetzt und anschließend durch gängige Analysethechniken das Gebäude schrittweise untersucht. Das Bauwerk wurde in seine konstituierenden Komponenten zerlegt und unter anderem auf den Ebenen „Stadt & Land“, „Bauwerk & Form“ und „Raum & Detail“ analysiert. Entstanden sind monochrome Zeichnungen, die das Gebäude auf seine besondere und von der Norm abweichende Art darstellen.

Die Studierenden wurden während des Seminars durch Prof. Dr.-Ing. Till Böttger und Ulrike Knauer M. Sc. betreut.

Lea Steiner & Theresa Szentmiklossy von Primocz

„Jagd- und Forsthaus Tannau“ von Ludescher + Lutz Architekten

Das mitten im Tettnanger Wald stehende Solitärgebäude soll ein Demonstrationsobjekt für zeitgemäßen, technisch vereinfachten Holzbau sein. Ziel war es, alle Funktionen (Jägerstube, Teeküche, Fahrzeughalle, Wild- und Kühlkammer) aus den unterschiedlichen maroden Waldhütten der Umgebung in einer Hütte zu vereinen und so einen neuen gemeinsamen Waldarbeiterstützpunkt für den Forst zu schaffen. Das gesamte Bauwerk ist in Holzmassivbauweise und mit ausschließlich hölzernen Verbindungsmitteln errichtet worden. Eine Ausnahme stellen der raumbildende Kamin und der Zerwirkraum dar, diese beiden Bereiche konnten nicht vollständig aus Holz konstruiert werden. Aus Gründen der Nachhaltigkeit wurde ausschließlich Holz aus der Umgebung zur Errichtung des Gebäudes verwendet.

Amelie Traupe & Georg Flotho

„Origenturm - Rotes Holzzeichen“ von Giovanni Netzer

Der 2017 erbaute Origenturm platziert sich in 2284 Metern Höhe auf dem Julierpass in der Schweiz. Er symbolisiert überspitzt die historische Bedeutung des Passes als Begegnungsort verschiedener Kulturen und stellt mit seiner kulturellen Funktion in Form einer Theaterbühne eine Neuinterpretation dieses Zusammentreffens dar. Um einen maximalen Kontrast zur kargen Umgebung des Passes zu schaffen und das monolithische Erscheinungsbild des Gebäudes sowie die Wichtigkeit des Ortes herauszustellen, wurde ein kräftiges Rot gewählt. Die Gesamtkonstruktion aus 40 vorgefertigten Massivholzelementen ermöglicht eine kurze Bauzeit. Das geometrische Zusammenspiel der einzelnen Fünfecke gewährleistet die Standhaftigkeit bei den extremen Witterungsverhältnissen.

Johannes Reuter & Nils Keck

„Kindergarten Lugano“ von Bruno Fioretti Marquez

Der Kindergarten ist ein eigenständiger Baustein in einem engen Stadtgefüge aus Apartmenthäusern und Investorenarchitektur der letzten Jahrzehnte in der Stadt Lugano. Durch einen geringen Öffnungsanteil in der Außenfassade grenzt sich das Gebäude von der Umgebung ab und öffnet sich zu den Innenhöfen im Inneren. Die Architektur basiert auf einem Raster, bestehend aus trapezförmigen Modulen, von denen immer fünf zusammenhängende einen Gruppenraum bilden. Diese Module aus Brettsperrholzelementen haben alle dieselbe Grundform, sind aber zueinander gedreht und gespiegelt angeordnet und weisen unterschiedliche Dachneigungen auf, sodass jedes Modul einzigartig wirkt.

Cathleen Berg & Cedric Krüger

„Olpererhütte“ von HK Architekten

Die Schutzhütte befindet sich auf 2389 m Höhe in den österreichischen Alpen (Ginzling) und ist nur zu Fuß über die Wanderwege oder mit einem Helikopter zu erreichen. Die vorgefertigten Brettsperrholzelemente für den Aufbau der Hütte sowie die Lebensmittel werden auf diesem Weg zur Hütte gebracht. Die Olpererhütte wird ausschließlich als Sommerherberge für Bergsteiger genutzt und vereint die Raumprogramme: gemein-schaftliches Kochen und Essen im Erdgeschoss und Schlafen in kleinen Bettlagern im Obergeschoss. Der Auf-enthaltsraum ist der Raum, wo sich die Besucher der Hütte am meisten aufhalten, deswegen wurde dieser nach Süden ausgerichtet, mit einem großen Panoramafenster, welches die Sicht ins Tal ermöglicht. Der massive Baukörper fügt sich in den Berghang ein und betont die historische Sockelmauer aus Naturstein, indem die oberen zwei Geschosse hinauskragen. Diese Auskragung lässt den Baukörper aus Holz gleichzeitig leichter wirken. Die verschindelten Außenwände, einschließlich des Daches, lassen den Baukörper homogen aussehen. Wenn die Fensterläden bei rauem Wetter geschlossen sind, hat die Schutzhütte eine einheitlich geschlossene Außenhülle aus Holz. Massive Brettsperrholzmodulwände bilden neben der Tragenden auch eine dämmende Funktion.

Patricia Huperz & Tom Janus

„Wohnhaus aus Holz“ von Kühnlein Architektur

Das private „Wohnhaus aus Holz“ von Kühnlein Architektur ist in Neumarkt in der Oberpfalz in Österreich zu finden und liegt somit sehr ländlich. Durch seine einfach gehaltene monolithische Bauform mit Satteldach und seiner Holzlamellen-Fassade passt sich das Gebäude gut in die Umgebung ein. Hinter der vermeintlichen Einfachheit des Wohnhauses befindet sich eine interessante Inszenierung von Gegensätzen. Diese werden erzeugt durch das Wechselspiel von offen und geschlossen. Die Sicht von innen nach außen ist durch die Öffnungen im massiven Baukörper dauerhaft gegeben und zwischen den Lamellen kann hindurchgesehen werden. Anders sieht es bei der Sicht von außen nach innen aus. Abgesehen von einem großen Fenster an der Ostseite und einer bodentiefen Fensterreihe hin zur Terrasse bleiben die Öffnungen im massiven Baukörper durch die Lamellen versteckt. Das Wohnhaus aus Holz lebt von Kontrasten: innen – außen, offen – geschlossen, monolithisch – komplex, homogen – heterogen, die bei immer näherer Betrachtung die Spannung steigern. Ein zeitgemäßer Bau, der sich vom Alten unterscheidet und sich harmonisch durch Materialität und Form einfügen kann.

Gerrit Baumhauer und Jawid Hassani

„Haus b“ von heinemeyerbeck Architekten

Das Einfamilienhaus in Stuttgart zeichnet sich durch Überlegungen zur Nachhaltigkeit, Bauökologie, und einem hohen Maß an Vorfertigung aus. Auf der vorgefertigten Holz-Massivwand liegt vor einer besonders ökologischen Zellulosedämmung eine Holzverschalung, die nach einer traditionellen japanischen Methode mit Feuer behandelt wurde, um das Haus vor Insekten, Feuchtigkeit und Schimmel zu schützen. Durch die offene Kubatur des Baukörpers auf der Südseite entsteht ein Außenraum als fast nahtlose Erweiterung des Innenraumes, während auf der Nordseite das Gebäude aufgrund einer viel befahrenen Straße und einer direkt vor dem Grundstück liegenden Bushaltestelle ohne Öffnungen abschließt.

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