Erscheinungsdatum: 18.07.2007

Studierende der HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit betreuen in Elze und Nordstemmen jugendliche Straftäter und -täterinnen bei gemeinnütziger Arbeit

Sie haben gestohlen, geprügelt, anderer Leute Besitz beschädigt, sind ohne Führerschein gefahren oder haben zu häufig die Schule geschwänzt. Sie sind zwischen 14 und 21 Jahre alt, meist Jungen, und ihre Strafe ist gemeinnützige Arbeit. Das ist die eine Gruppe.

Die andere Gruppe, das sind Studierende der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit an der HAWK in Hildesheim, die am Projekt von Prof. Dr. Christa Paulini teilnehmen, der „Arbeit mit straffälligen Jugendlichen“. Die Studierenden betreuen die Straffälligen – derzeit in Elze und Nordstemmen. Beide Gruppen lernen viel dabei, vor allem, wie mit Konflikten umgegangen werden kann und dies auf beiden Seiten.

Das Ganze funktioniert auf der Basis von klaren Regeln und in Zusammenarbeit mit der Jugendhilfestation West des Landkreises Hildesheim. Hat die zuständige Jugendrichterin oder die Staatsanwaltschaft Arbeitsstunden als Strafe für eine Tat verhängt, ist die Jugendgerichtshilfe unter anderem dafür zuständig, die Arbeitsstunden zu vermitteln und zu überwachen.

Die Idee zur Projektrealisierung der beiden Betreuerinnen, Prof. Dr. Christa Paulini von der HAWK und Dipl.-Sozialarbeiterin und Familientherapeutin Gabi Kaufmann von der Jugendhilfestation West, nahm 2005 Gestalt an: Die jugendlichen Straftäter und -täterinnen sollten ihre Strafe nicht einfach auf sich gestellt verbüßen, sondern pädagogisch begleitet werden und sich so auch mit ihrer Tat auseinandersetzen können.

Im Wintersemester 2005/2006 startete das Projekt mit einem Planungsseminar. Es wurden zum Beispiel Regeln im Umgang mit den Jugendlichen bei der praktischen Arbeit entwickelt, und es wurden Ziele festgesteckt, beispielsweise, dass die Nachhaltigkeit der Arbeit der Jugendlichen im Vordergrund stehen müsse. Jugendliche sollten selbst auch
stärker am Resultat der Arbeit beteiligt werden. Das Projekt machte diese beiden Ziele zur Kernaufgabe.

Im Sommersemester 2006 begann dann die praktische Phase. Die rund 40 Studierenden begannen in vier Gruppen an den Standorten Elze, Nordstemmen, Gronau und Alfeld. Jede Gruppe suchte sich einen Raum als Treffpunkt mit den Jugendlichen. In Nordstemmen zum Beispiel war dieser Raum im Jugendzentrum 110, in Elze in der Jugendhilfestation West.

Nach und nach entwickelten sich auch unterschiedliche Arbeitsmethoden in den Gruppen. Teils legten die Gruppen den Schwerpunkt mehr auf eine Art Soziale Gruppenarbeit, andere hingegen mehr auf die praktische Arbeit. Grundsätzlich treffen sich alle Gruppen mindestens einmal in der Woche mit den Jugendlichen. Hinzu kommt für die Studierenden eine wöchentliche Seminarveranstaltung, bei der Themen und Hintergründe, Konflikte und Analysen aus der Arbeit mit straffällig gewordenen Jugendlichen bearbeitet werden.

Institutionen, die mit dem Projekt zusammenarbeiten sind in erster Linie die Jugendhilfestation West, die die Jugendlichen in das Projekt vermittelt, aber auch zum Beispiel Jugendzentren, Schulen, Gemeinden und Vereine, die Arbeitsprojekte finanzieren oder selbst Hilfe bei etwas benötigen.
Zurzeit gibt es Gruppen an den Standorten Nordstemmen und Elze. Die Zahl der Gruppen hängt von der Zahl der Seminarteilnehmer und -teilnehmerinnen an der HAWK ab. In diesem Sommersemester wurde zudem auch eine Einzelbetreuung für einige Jugendliche angeboten, unter anderem mit tiergestützter pädagogischer Begleitung und erstaunlich positiven Resultaten. Die Einzelbetreuung ist in dieser Form ein neues Arbeitsfeld und wird wohl auch in Zukunft fortgeführt. Die Studierenden begleiten „ihre“ Jugendlichen bei Behördengängen und führen Gespräche über die Familiensituation und die Tat. Darüber hinaus wurde im Jugendzentrum in Nordstemmen eine Mädchengruppe unter der pädagogischen Begleitung Studierender begonnen.

Bei der Gruppenarbeit gibt es spezielle Themen, wie dieses Semester die Musik. Anhand von Songtexten diskutieren die Jugendlichen mit den Studierenden über Vorurteile, Ängste oder Akzeptanz. Hinzu kommen praktische Arbeiten. Im Wintersemester 2006/2007 beispielsweise beseitigte eine Gruppe im Garten des Altenheims Gronau Sturmschäden und in Elze und Nordstemmen standen Renovierungsarbeiten in den Jugendeinrichtungen auf dem Plan. In Burgstemmen wurde eine Betonbushaltestelle zweifarbig gestrichen. Insgesamt werden im Rahmen des Projektes pro Semester zwischen 15 und 20 Jugendliche betreut.

Die Studentinnen Annina Bergholz und Christina Lütjen sind leidenschaftlich bei der Sache. Keine hatte Situationen, in denen sie die Arbeit am liebsten hingeschmissen hätte. Das bestätigen auch alle Kommilitonen. Dennoch können alle von heiklen und manchmal auch unlösbaren Konflikten erzählen. Beispielsweise wenn sich ein Jugendlicher völlig verschließt und überhaupt nicht mitmachen will. Aber diesen Frust machen die vielen wett, die sich am Schluss für die Betreuung bedanken, weil sie mit sich selbst weitergekommen sind. So zum Beispiel Paul (Name geändert).

Die Studentinnen berichten: „Paul war 16 Jahre alt und hatte Arbeitsstunden wegen Schulverweigerung bekommen. Zu Beginn wusste er nicht, wieso er eigentlich an dem Projekt teilnehmen sollte, auch sein Verstoß gegen das Schulgesetz war ihm nicht bewusst. Im Laufe der Gespräche sah Paul aber so langsam ein, dass er sich mit seinem Fernbleiben der Schule möglicherweise selbst Steine für seine berufliche Zukunft in den Weg gelegt hatte. In verschiedenen Theorieeinheiten machte Paul immer öfter seine Schulverweigerung zum Thema und versuchte, auch für sich selbst, die Hintergründe zu erforschen. Eines Tages, bei einer Kleingruppenarbeit, fiel es ihm sozusagen wie Schuppen von den Augen. Er sagte: ‚Ich glaub, ich hab die Trennung meiner Eltern nicht verkraftet und erst mal gegen Jedes und Alles rebelliert. Nun hab ich die Rechnung bekommen und kriege hoffentlich noch rechtzeitig die Kurve.’ Wir finden, dass dieses Projekt für Paul genau das Richtige war, da er sein Problem erkannt und auch öffentlich gemacht hat.“


Bei Sebastian (Name geändert) war die Lage schwieriger. Er kam später in eine Gruppe, die zunächst interessiert und aktiv gearbeitet hatte. Sebastian tat dies auch, nur er drückte die anderen mit seiner dominanten Art in den Hintergrund, schüchterte sie geradezu ein. Gleichzeitig forderte er sie auf, sich doch mehr zu beteiligen – eine komplizierte Lage für die Betreuer. Sie erinnern sich: „So entstand eine ganz schwierige Gruppensituation, die von dem studentischen Team in Elze lange diskutiert wurde. So konnte es nicht weitergehen, mit Sebastian konnte die Gruppe nicht wirklich weiterarbeiten. Ihn aus der Gruppe zu nehmen wäre, andererseits aber auch ein sehr drastischer Schritt gewesen.
Schließlich entschieden wir uns, ihn zum Wohl der Gruppe nicht mehr am Gruppengeschehen teilhaben zu lassen, sondern mit ihm eine Einzelbetreuung zu machen. Dieser Schritt erschien zudem sinnvoll, da wir vermuteten, dass er dort einige persönliche Probleme aufarbeiten könne.

Sebastian regte sich über diese Entscheidung aber total auf, er sah sie als Strafe und konnte sie absolut nicht nachvollziehen.
Es gelang nicht wirklich, ihm klar zu machen, dass er diese Einzelbetreuung als Chance und nicht als Strafe sehen sollte, denn schließlich hätten wir ihn auch gleich einfach aus dem Projekt nehmen können.“ Das Resümee des Teams: „Dies alles zeigte uns, wie stark sich gruppendynamische Prozesse sowie Rollenverteilungen ausprägen können und wie schwer diese zu ändern sind. Wir machten die Erfahrung, dass Gruppen verändernde Entscheidungen folgenschwer sein können und gut bedacht sein sollten. Außerdem wurde uns klar, dass es sehr wichtig ist, wie man solche Entscheidungen darstellt, sie begründet, vertritt und auch durchsetzt.“ Sebastian hat sich schließlich gegen das Angebot der Einzelbetreuung entschieden, hat das Projekt verlassen und anderswo seine Strafe abgeleistet.

Die Studierenden lernen viel aus diesen Praxissituationen – oft aus unangenehmen und schwierigen Situationen mehr als aus anderen. Bei den jugendlichen Straftätern und -täterinnen ist dies nicht anders. Was beide Gruppen zusammenhält sind die Regeln des Projekts. Da ist zum Beispiel die Regel 6 „Mitmachpflicht und Anwesenheitspflicht“, die lautet: „Die TeilnehmerInnen müssen anwesend sein und am Projekt mitarbeiten sowie zuhören, um Arbeitsstunden angerechnet zu bekommen. Während des Projekttreffens bleiben alle TeilnehmerInnen am Einsatzort.“ Insgesamt gibt es 13 Regeln und bei Regelverstoß eine erste Ermahnung: „Abbruch des laufenden Treffens und keine Anrechnung der Arbeitsstunden für diesen Termin, danach 2. Chance“. Die zweite Ermahnung wäre schon das Ende: „Ausschluss aus dem Projekt, Mitteilung an die Jugendgerichtshilfe“. Auch das ist in der Geschichte des Projektes schon sechs Mal vorgekommen. Aber meistens „arrangieren sich die TeilnehmerInnen im Verlauf des Projektes mit den auferlegten Regeln“, berichten die Studierenden. Manchmal weisen sie sich sogar schon untereinander auf die Regelverstöße hin. Und das kann der Beginn einer neuen Gemeinschaft sein. Allein dafür hätte sich das Projekt schon gelohnt.

Studierende der HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit betreuen in Elze und Nordstemmen jugendliche Straftäter und -täterinnen bei gemeinnütziger Arbeit Die studentische Projektgruppe der HAWK. Die studentische Projektgruppe der HAWK.