Endlich wieder in Präsenz!

Erscheinungsdatum: 11.05.2022

In Brandenburg an der Havel hat die HAWK von Mittwoch 27. April 2022, bis Samstag, 30. April 2022, eine interdisziplinäre Tagung zum Digitalen in der Restaurierung veranstaltet: Unter dem Motto „Nicht invasiv! Neue Perspektiven in der Erforschung und Restaurierung von Wandmalerei dank digitaler Techniken“ stellten die Referent*innen innovative Möglichkeiten der Erforschung, Erhaltung, Präsentation und Vermittlung fragmentarischer Wandmalereien und Skulpturen mittels strahlendiagnostischer Untersuchungsmethoden, digitaler Techniken der Visualisierung und Teilrekonstruktion vor.

Exemplarisch demonstrierte das Team diese Vorgehensweise zunächst am spätgotischen Wandmalereizyklus zu den Wissenschaften und Künsten in der ehemaligen Bibliothek der Brandenburger Domklausur. Diese teils äußerst fragmentarische und mit dem bloßen Auge nur noch bedingt wahrnehmbare Ausmalung war über mehrere Jahre Gegenstand eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten interdisziplinären Forschungsprojektes. Professorin Dr. Ursula Schädler-Saub von der HAWK leitete dieses restaurierungswissenschaftliche Projekt, das eng mit einem kunsthistorischen Projekt unter Leitung von Professorin Dr. Ulrike Heinrichs von der Universität Paderborn verbundenen war. In der Zusammenschau mit weiteren Fallbeispielen andernorts ergab sich ein repräsentativer Überblick über den aktuellen Stand der Technik und der operativen Praxis in der Baudenkmalpflege und Archäologie.

 

„Nicht invasiv“ aber endlich wieder in Präsenz!

Alle Beteiligten freuten sich wieder über eine Tagung in Präsenz mit gemeinsamen Besichtigungen, Diskussionen und Gesprächen. Die Freude über das reale Zusammentreffen mit Kolleg*innen und Expert*innen aus ganz Deutschland sowie aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden stand den fast 130 Tagungsteilnehmer*innen ins Gesicht geschrieben. Darunter waren sehr viele junge Fachleute und etliche Studierende der HAWK, die unter anderem großes Interesse an diesem für Theorie und Praxis so brisanten Thema zeigten. Die Atmosphäre war sehr anregend, die Stimmung heiter. Der Tagungsort im ehemaligen St. Paulikloster in Brandenburg an der Havel, welches heute das Archäologische Landesmuseum beherbergt, bot einen wunderbaren Rahmen für die Veranstaltung.

Besichtigungen spätmittelalterlicher Wandmalerei rahmten die Tagung ein. Zu Beginn ging es in der Stadt Brandenburg an der Havel und zum Abschluss gab es eine Exkursion in der Mark Brandenburg, die nach Plaue, Ziesar und Jüterbog führte. Nach einführenden Erläuterungen der zuständigen Fachleute des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, kurz BLDAM, des HAWK-Teams und weiterer Expert*innen bot sich die Gelegenheit, gemeinsam vor den Originalen über Fragen der Erhaltung, Präsentation und Vermittlung zu diskutieren.

Zu den Vorträgen und Diskussionen

Von den zwei Vortragstagen widmete sich der erste Tag ganz dem DFG-Projekt über den Wandmalereizyklus im Nordflügel der Domklausur zu Brandenburg. Die ehemals berühmte Bibliothek stellten die beteiligten Forscher*innen jeweils mit Beiträgen zur Baugeschichte, zur bauzeitlichen Gestaltung um 1430 und ihrer kurz darauffolgenden kompletten Ausmalung in den 1440er Jahren vor. Einen besonderen Schwerpunkt bildeten dabei die Kunsttechnologie und die materielle Degradation des überlieferten Malereibestandes. Um den heutigen Bestand und Zustand besser zu verstehen, präsentierten die Forschenden die verlustreiche Nutzungs- und Restaurierungsgeschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Nach der Sperrung des Nordflügels wegen Baufälligkeit im Jahr 1971 erfolgten ab den 1980er Jahren bis zum Jahr 2005 die notwendigen Untersuchungen und eine denkmalgerechte Instandsetzung, verbunden mit der Freilegung und Konservierung des Wandmalereizyklus.

Die Entscheidung für diese Freilegung und die unbeschönigte Präsentation des teils äußerst fragmentarischen Zustandes führten zum DFG-Forschungsprojekt. Die zentrale Aufgabe der beteiligten Forscher*innen war das Erfassen, Visualisieren und Auslegen der mit dem bloßen Auge teils kaum verständlichen Fragmente – auch in Hinblick auf eine Vermittlung an ein breiteres Publikum. In interdisziplinärer Zusammenarbeit von Restaurierungswissenschaften, Naturwissenschaften sowie Kunst- und Kulturgeschichte nutzten die Beteiligten innovative, weitestgehend nicht invasive strahlendiagnostische und bildgebende Methoden und Techniken und entwickelten diese auch weiter. Auf diesem Wege, mit gebündelter Fachkompetenz und viel persönlichem Engagement, wurden die vom Humanisten Hermann Schedel in der Mitte des 15. Jahrhunderts als „edle Gemälde“ gerühmten Malereien trotz aller Beschädigungen und Verluste wieder weitgehend anschaulich und verständlich. Das Fragment wirft allerdings noch etliche Fragen auf, sodass sich alle Beteiligten eine Fortführung der Forschungen und eine Weiterentwicklung der Visualisierungstechniken wünschen.

Dem Leitmotiv der Tagung „Nicht invasiv!“ und der Erforschung und Vermittlung des Fragments verpflichtete sich auch der zweite Vortragstag. Anhand aktueller Fallbeispiele aus Deutschland und Mitteleuropa präsentierten die Referent*innen verschiedene strahlendiagnostische und digitale Methoden und Techniken zur bestmöglichen Erfassung und Vermittlung von fragmentarischer Wandmalerei, Architekturoberflächen und antiker Skulpturen. Die kritische Evaluation der Möglichkeiten und Grenzen innovativer digitaler Techniken und ihrer Auswirkungen auf „klassische“ Grundsätze der Restaurierung und der Denkmalpflege sowie auf die operative Praxis kamen dabei immer wieder im engen Austausch mit dem Auditorium zur Sprache.

In der anschließenden Diskussion gab es einen teils kontroversen Meinungsaustausch zwischen „Traditionalisten“ und digital affinen Fachleuten über die Art der Präsentation fragmentarischer Kunstwerke. Einigkeit herrschte darüber, dass das Motto „Nicht invasiv!“ zukünftig dazu anspornen sollte, materielle Eingriffe in die historische Substanz dank digitaler Techniken noch stärker zu reduzieren und nur gezielt auf der Basis einer umfassenden Kenntnis des überlieferten Bestandes einzusetzen. Aber nur digital geht weder heute noch in Zukunft: Auch der Verzicht auf Ergänzungen und Retuschen ist eine ästhetische Entscheidung, die dem Original materiell etwas hinzufügt – und sei es nur die „neutrale“ Kittung einer Fehlstelle.

Mehr zum Thema

Eine von Ursula Schädler-Saub zusammengestellte „Nachlese“ zur Tagung fasst die Inhalte der einzelnen Beiträge und die Diskussionen genauer zusammen. Der Digital Object Identifier hierfür lautet: 10.5165/hawk-hhg/494 .
Zur nachhaltigen Dokumentation der neuen Erkenntnisse über die Brandenburger Domklausur und ihren Wandmalereizyklus sowie über dessen Untersuchung und Visualisierung erschien als Begleitbuch zur Tagung der Abschlussbericht des DFG-Projekts in Form eines reich ausgestatteten Prachtbands unter dem Titel „Der Wandmalereizyklus zu den Wissenschaften und Künsten in der Domklausur zu Brandenburg. Interdisziplinäre Erforschung und Visualisierung des fragmentarischen Bestandes“. Der auf 464 Seiten sehr gut illustrierte Band erschien in der Schriftenreihe des Hornemann Instituts und mit freundlicher Unterstützung des BLDAM beim Hendrik Bäßler Verlag in Berlin (Hardcover, 46 Euro).

Danksagung

Ein herzliches Dankeschön geht an alle Referent*innen, Moderator*innen sowie Kolleg*innen der HAWK und seiner Kooperationspartner, dem Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (BLDAM) sowie dem Domstift Brandenburg.

Ein besonderer Dank gilt der Leiterin des Hornemann Instituts Dr. Angela Weyer und ihrem Team Hannah Emmerich und Nils Radunz sowie Michael Schneider vom archäologischen Landesmuseum Brandenburg, die mit ihrer engagierten Organisationsarbeit wesentlich zum Gelingen dieser Tagung beigetragen haben. Finanziell gefördert wurden die Tagung und das Begleitbuch im Rahmen des Niedersächsischen Vorab sowie vom Präsidium der HAWK und dem BLDAM..

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Profilbild Ursula Schädler-Saub
Grundsätze und Methoden der Restaurierung und der Denkmalpflege, Leitung des DFG-Forschungsprojektes Hyperspektrale Untersuchungsmethoden und die Entwicklung einer digitalen Toolbox für die Erforschung und Vermittlung fragmentarischer Wandmalerei

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