500. Geburtstage in der Restaurierungswerkstatt

Erscheinungsdatum: 13.04.2021

In ihren Abschlussarbeiten im Masterstudiengang Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft haben Christine Schwarzenberg und Milena Del Duca drei gleichsam bedeutende spätmittelalterliche Kunstobjekte zeitgleich kunsttechnologisch untersucht. Die drei gefassten Holzobjekte, ein Totenschild zu Ehren Heinrichs von Nettlingen und zwei Bischofsskulpturen, entstanden in Hildesheim im kirchlichen Kontext und hatten bis heute sehr unterschiedliche Geschichten.

Totenschild zu Ehren Heinrichs von Nettlingen

Die erste Geschichte beginnt 1520 mit dem Tod Heinrichs von Nettlingen, dem letzten Ritter aus dem Geschlecht derer von Nettlingen, einem Dorf bei Hildesheim. Zu seinem Gedenken entstand ein Totenschild, das wahrscheinlich in der Martinikirche in Hildesheim präsentiert wurde. In dessen Umgebung wohnte das Rittergeschlecht zuletzt. Nach der Auflösung der Martinikirche im Jahr 1853 diente der Ort als Ausstellungraum für den Vorläufer des heutigen Roemer- und Pelizaeus Museums. Alle kirchlichen Ausstattungsstücke, das Altarretabel, die Taufe und auch der Totenschild kamen in die Michaeliskirche. Diese war durch die Säkularisation, also die Enteignung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ausgeräumt worden und führte ein wechselhaftes Dasein als Soldatenunterkunft, Stall, Strohlager und später als „Irrenanstalt“, bevor sie 1855-1857 wieder Instand gesetzt und als Kirchenraum genutzt werden sollte. Für diese neue Nutzung kamen die Ausstattungsstücke aus der Martinikirche nun in die Michaeliskirche und so auch der Totenschild für Heinrich von Nettlingen, und bis zur letzten Renovierung der Michaeliskirche 2005 hing der Schild im Querschiff. Nach der Wiedereröffnung 2010 fand der Schild keinen Platz in der neu gestalteten Kirche und lagert seitdem im Depot.

 

Bei Arbeiten in der Kirche fiel das Objekt in den Blick, denn die Herstellungsweise der goldenen Helmbänder gab Rätsel auf und auch aufgrund des desolaten Zustands bestand Anlass zum Handeln: Die Helmbänder waren geknickt und gebrochen, die Fassungs- und Bildschichten waren gelockert und schon verloren und das ganze Objekt wies starke Verschmutzungen auf. Um die Fragen "Wie ist der Totenschild hergestellt?" und "Wie können wir es erhalten?", kümmerte sich HAWK-Studentin Christine Schwarzenberg. In Ihrer Master-Thesis untersuchte sie die Kunsttechniken dieses besonderen Objektes, entwickelte einen Plan zur Konservierung der Materialien und führte diese Arbeitsschritte auch durch.

Der Totenschild besteht aus Lindenholz und die heute Gold erscheinenden Helmbänder wurden aus mehreren Lagen Leinengewebe hergestellt, die mit Stärkekleister zusammengeklebt wurden. In diesen Helmbändern konnte Christine Schwarzenberg die Verwendung von Lindenbast, einem sehr ungewöhnlichen Material, feststellen. Die Oberseiten der Helmbänder waren vermutlich ursprünglich versilbert und die Unterseiten schwarz gefasst, entsprechend der heraldischen Zuordnung. Die Konservierung, also die Stabilisierung aller Materialien und des gesamten Materialgefüges und die Reinigung aller Oberflächen ist ein perfektes Geschenk zum 500. Geburtstag dieses außergewöhnlichen kulturhistorischen Objektes aus Hildesheim. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Michael von der Goltz und Dipl.-Rest. Ina Birkenbeul.

 

 

Bischofsskulpturen vom Benedikt-Meister

Etwa zur gleichen Zeit, um 1520, stellte ein Hildesheimer Bildschnitzer – er trägt den Notnamen Benedikt-Meister – zwei Bischofsskulpturen her. Diese beiden, ebenfalls aus Lindenholz gefertigten Skulpturen, haben eine weitgehend unbekannte Geschichte hinter sich. Ursprünglich gehörten sie wahrscheinlich zu einem spätmittelalterlichen Altarretabel. Schriftliche Nachweise der beiden Skulpturen liegen jedoch nur aus dem 18. Jahrhundert vor. Die ersten Fotografien der beiden Skulpturen stammen von 1934, aber die Geschichte bleibt auch im 20. Jahrhundert unvollständig. 2019 ersteigerte das Dommuseum zusammen mit dem Roemer- und Pelizaeus Museum diese beiden Skulpturen wegen der Zugehörigkeit zum Hildesheimer Kunstraum und benötigte nun eine genaue kunsttechnologische Untersuchung zur Frage der ursprünglichen, mittelalterlichen Farbigkeit und darüber hinaus eine Darstellung der Geschichte der fasstechnischen Überarbeitungen und eine Klärung des heutigen Aussehens. Mit diesen Fragen beschäftigte sich Milena Del Duca in Ihrer Master-Thesis, die von Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub und Dipl.-Rest. Ina Birkenbeul betreut wurde.

Das Ergebnis Ihrer umfangreichen fasstechnischen Untersuchungen war überraschend wie ernüchternd, denn das heutige Aussehen der beiden Bischöfe resultiert aus der kunsthandwerklichen Imitation einer gealterten, mittelalterlich anmutenden Fassung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von der ersten Fassung lassen sich nur noch winzigste Reste nachweisen. Sie reichten nicht aus, um das ursprüngliche Aussehen zu rekonstruieren. Die Untersuchungen von Milena Del Duca waren dennoch sehr hilfreich für beide Museen, denn Ihre vielfältigen Beobachtungen zur Werktechnik, also zur Bearbeitung des Holzes, den entsprechenden Werkzeugen, der Holzauswahl und der Behandlung der Holzoberflächen werden für zukünftige Forschungen zum Werk des Benedikt-Meisters überaus hilfreich sein. Beide Museen begleiteten diese Untersuchungen mit großem Interesse.

 

Auch die beiden Bischofsskulpturen hat die Studentin gesichert und gereinigt. Beide Objekte weisen zusammen mit dem Totenschild die vielfältige und hochwertige Produktion von gefassten Holzobjekten vor 500 Jahren in Hildesheim nach.

Für die beiden Studentinnen bleiben hervorragende Masterabschlussarbeiten und die dauerhafte Infizierung mit der Begeisterung für spätmittelalterliche Kunsttechniken.

Kontakt

Profilbild Ina Birkenbeul
Restaurierungswerkstatt Gefasste Holzobjekte/Gemälde
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