HAWK-Studentin Bianca Floss untersucht Cyclododecan an Papierblöcken

Erscheinungsdatum: 04.02.2020

Wie können verblockte und stark beschädigte Seiten von Büchern in Archiven und Bibliotheken der Forschung und Wissenschaft wieder zugänglich gemacht werden? Masterabsolventin Dipl.-Rest. Bianca Floss untersuchte für ihre Abschlussarbeit am HAWK Studiengang Konservierung und Restaurierung, Vertiefungsrichtung Schriftgut, Buch und Grafik der Fakultät Bauen und Erhalten die Wirkung von Cyclododekan und entwickelte einen praxistauglichen Arbeitsablauf. Dafür erhielt sie jetzt den Lions-Preis 2019 von Jan Hendrik Marhauer, Präsident des Lions Club Hildesheim, am Hildesheimer Tag der Restaurierung.

„Archivleichen“, nennt sie der Volksmund - „Forschungsobjekt“, nennt sie der Studiengang – die Rede ist von verblocktem Papier – und wie der Name schon sagt, handelt es sich um Blöcke aus Papier, die sich bisher nicht wieder in Einzelseiten trennen ließen. Sie sind in der Regel eine Folge von Feuchtigkeits- und Wasserschäden. Die Vertiefungsrichtung hat vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv  (BLHA) eine stark verblockte und beschädigte genealogische Handschrift angenommen, mit dem Ziel, Methoden der Trennung zu entwickeln. Vor den Untersuchungen von Bianca Floss hatten Masterstudierende 426 Seiten der rund 1060 Seiten umfassenden Handschrift mechanisch voneinander getrennt. Bereits hierfür wurde an der HAWK, im Rahmen der Lehre, eine neue Herangehensweise entwickelt. Für die untrennbar verblockten Seiten zeigten zudem verschiedene Vorversuche, dass ein Einsatz von Cyclododekan erfolgversprechend ist.

 

Cyclododecan ist kein neues Präparat im Bereich der Restaurierung. Weil es die Eigenschaft besitzt, langsam zu sublimieren, wird es in vielen Bereichen eingesetzt, beispielsweise zur Transportsicherung von empfindlichen Objekten oder in der Papierrestaurierung, um feuchtigkeitsempfindliche Schriftzüge und Stempel während Nassbehandlungen zu schützen. Für Bianca Floss bestand die Aufgabe dennoch in Grundlagenforschung. Die neuartige Wirkung der Substanz auf die verblockten Seiten musste umfassend geklärt und mögliche Nebenwirkungen auf das Trägermaterial Papier sowie Schreib- und Malmittel untersucht werden. Eine weitere Aufgabe war die Entwicklung eines reproduzierbaren Arbeitsablaufs. Reproduzierbar deshalb, weil es viele Beschädigungen dieser Art in Archiven und Bibliotheken gibt. Unterstützung für ihre Analysen erhielt Bianca Floss durch die Universität für Bodenkultur Wien, Department of Chemistry; die restauratorische Entwicklungsarbeit erfolgte an der HAWK.  Hervorzuheben sind auch die überaus wichtigen neuen Erkenntnisse zum Umgang mit Cyclododekan bzw. zum  Arbeitsschutz, die für alle Konservierungs- und Restaurierungsbereiche von großer Bedeutung sind.

 

„Ein außergewöhnlich gelungener Vortrag, der auch für fachliche Laien gut nachvollziehbar war“, lobte Jan Hendrik Marhauer und berichtete von den lebhaften Diskussionen der Clubmitglieder im Anschluss an den Vortrag von Bianca Floss vor dem Lions Club. Bereits zum 12. Mal verlieh der Lions Club Hildesheim den Preis für herausragende wissenschaftliche Leistungen an die Masterabsolvierenden der Fakultät Bauen und Erhalten der HAWK. „Es gibt nur wenige Projekte, die wir schon so lange fördern“, betonte Marhauer die Wichtigkeit, das Kulturgut für zukünftige Generationen zu bewahren. Es sei ein knappes Kopf-an-Kopf Rennen gewesen zwischen den Bewerberinnen, so Marhauer bei der Preisübergabe am Tag der Restaurierung. „Der Hildesheimer Tag der Restaurierung ist stets ein Höhepunkt im Studienjahr“, so Prof. Ulrike Hähner, Studiendekanin der Konservierungs- und Restaurierungsstudiengänge an der Fakultät Bauen und Erhalten. An diesem Tag stellen Absolventinnen und Studierende ihre Master- bzw. Bachelorabschlussarbeiten vor; stehen Hochschularbeiten und Hochschulprojekte im Mittelpunkt. „In der Regel sind es Fragestellungen aus der Praxis, die zu Aufgaben angewandter Wissenschaft werden“, so Hähner.

 

„Ohne Kooperationen mit Museen, Denkmalämtern, Archiven und Bibliotheken sowie den kirchlichen Einrichtungen gäbe es viele der vorgestellten Abschlussarbeiten nicht“.  Dieser Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis sei nicht nur sehr bedeutend für die Studierenden, so Hähner, sondern trage auch zur Weiterentwicklung des Wissenschaftsgebietes der Konservierung und Restaurierung bei. Fragen wie: „Wie kann der Schimmelbefall an zwei neugotischen Textilien aus St. Mariä Himmelfahrt in Kleve behandelt und gemindert werden?“; „Wie können mittelalterliche, alaungegerbte Ledereinbände der Dombibliothek Hildesheim stabilisiert werden?“ oder „Welche Ursache gibt es für die erstaunlichen Veränderungen an Pergamenturkunden des Stadtarchivs Hildesheim?“ belegen den praxisnahen Forschungsdarf der Institutionen.  „Nur wenige Institutionen haben für diese grundlegenden Arbeiten Personalressourcen und geeignete Labore. Die überwiegend interdisziplinären Forschungsergebnisse an der HAWK führen zu neuen Erkenntnissen und Ansätzen, die für die gesamte Praxis der Kulturguterhaltung von Bedeutung sind“, so Hähner.

Im Rahmen des Tages der Restaurierung erhielten Meike Büttner und Arman Dzaferagic ihre Masterzeugnisse überreicht.