Wie Schulen und Jugendhilfe ein gemeinsames Netz bilden können – ein Angebot für Lehrer
In Hannover oder Nürnberg werden Schulschwänzer von der Polizei ins Klassenzimmer eskortiert. Hildesheim sucht einen anderen Weg, obwohl auch hier der Anstieg der Bußgeldverfahren wegen Schulabsentismus (genaue Zahlen gibt es nicht) bei Lehrern und Jugendamt immer größere Besorgnis auslöst. Auf Anregung des Hildesheimer Arbeitskreises Schule und Jugendhilfe haben Jörg Karsten Piprek und Thorsten Ukena im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen eine Studie über den so genannten Schulabsentismus erarbeitet und den "Hi-Scout", eine Problemlösungsstrategie, entwickelt.
Die beiden Sozialpädagogen haben sich unter der Leitung von Dr. Maria Busche-Baumann, die an der Fachhochschule die Professur für Didaktik in der Sozialen Arbeit verwaltet, nicht mit Schülern beschäftigt, die ab und zu mal eine Schulstunde "knicken". Ihre Untersuchung dreht sich um diejenigen, die so oft fehlen, dass ein Bußgeldverfahren wegen Schulabsentismus eingeleitet wurde oder werden müsste.
Nach Schätzungen von Experten bleiben in Deutschland fast 70.000 Schüler regelmäßig dem Unterricht fern, schreiben Piprek und Ukena. Bayern hat auf die wachsende Zahl von Schwänzern mit Zwangsmaßnahmen reagiert und setzt zur Zeit das Nürnberger Modell um: "Zum einen führt die Polizei auf Antrag der Schulbehörde die Vorführung von Schulschwänzern durch, zum anderen führt sie eigeninitiativ Kontrollen während der üblichen Schulzeit insvesondere an bekannten Jugendtreffpunkten durch", schreibt der bayrische Innenminister Dr. Günther Beckstein im Internet-Bürgerforum seiner Behörde. Statistische Untersuchungen der Nürnberger Polizei belegten einen Zusammenhang zwischen notorischem Schulschwänzen und dem Begehen von Delikten wie insbesondere Ladendiebstahl, heißt es dort. Auch Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover setzt auf die abschreckende Wirkung der Polizei. Flankiert wird diese Maßnahme dort jedoch beispielsweise von einem Projekt der Arbeiterwohlfahrt , das Schulverweigerern den Weg zurück ins Klassenzimmer erleichtern will.
Zentrale Erkenntnis der Arbeit von Jörg Karsten Piprek und Thorsten Ukena ist denn auch, dass viele junge Leute nicht aus Jux und Dollerei dauerhaft dem Unterricht fern bleiben. Die Ursachen seien in der Regel oft schwerwiegende Probleme im privaten Bereich. Deshalb halten die beiden nichts von den auf Abschreckung basierenden Modellen, die ihrer Meinung nach nur an den Symptomen kurieren, sondern wollen das Übel bei der Wurzel packen und mit Hilfe der existierenden Jugendhilfeeinrichtungen und der Schule die Schwierigkeiten der Betroffenen in den Griff bekommen.
Die Diplomarbeit hat den Titel "Und morgen geh ich wieder hin...". Herzstück der Arbeit ist eine Problemlösungsstrategie, die die Verfasser "Hi-Scout" genannt haben. Der "Hi-Scout" ist so naheliegend wie effektiv und beruht auf der im Zuge der Arbeit gewonnenen Erkenntnis, dass Jugendhilfe und Schule bisher zu wenig vernetzt sind und nicht genügend über die Aktivitäten der anderen informiert sind. Das "Hi" im Hi-Scout steht für Hildesheim. Denn es handelt sich um ein regional einsetzbares Medium, das Hilfeeinrichtungen und deren Angebote sowohl für Schüler als auch für Lehrer transparenter macht. "Scout" bedeutet Wegbereiter und steht für die Idee, dass genügend passende Hilfsangebote auch in Hildesheim vorhanden sind, dass es oft jedoch an Informationen darüber fehlt. Diese Lücke soll der "Hi-Scout" schließen.
Ausgangspunkt der besseren Vernetzung von bestehenden Angeboten ist zunächst einmal ein aufwendig gestaltetes Plakat, das in Schulen ausgehängt und mit Leben gefüllt werden soll. Es listet die Institutionen und Ansprechpartner nicht nur problembezogen auf, sondern spricht den Jugendlichen aus dem Herzen: Unter Überschriften wie "Konflikte in der Schule", "Stress in der Familie", "Schulden" , "Kriminalität" und vielen mehr, werden Sorgen und Nöte direkt aufgegriffen. "Ich ertrage den Streit meiner Eltern nicht mehr" oder "Keiner kümmert sich um mich", heißt es da. Daneben sind die entsprechenden Hilfsangebote aufgeführt.
Das Plakat soll die Jugendlichen ermutigen, über ihre Probleme zu sprechen. Wer sich nicht traut, die Jugendhilfe direkt anzusprechen, kann sich an eine "Clearingstelle" in der Schule wenden. Die Autoren der Diplomarbeit setzen dabei ganz nah beim Schüler an und verstehen unter Clearing erst einmal ein "Nachdenken über Mangellagen und Stressfaktoren" zwischen Lehrer und Schüler. "Unsere Clearingstelle ist kein separater Raum an der Schule. Sie ist vielmehr alltäglich und allgegenwärtig und soll nur noch durch organisierte Beratungen ergänzt werden." Auch Lehrern soll das Plakat Hilfestellung bieten. In Problemfällen, die sie selbst nicht lösen können, finden auch sie direkt die richtigen Ansprechpartner. Zudem kann es als Medium im Unterricht eingesetzt werden, um Betroffenen und Klassenkameraden Wege aus der Krise zu zeigen.
Jörg Karsten Piprek hat dem Arbeitskreis Schule und Jugendhilfe den "Hi-Scout" und die Diplomarbeit jetzt vorgestellt und ist auf sehr positive Resonnanz gestoßen. Kriminalhauptkommissarin Ruth Lüder, Beauftragte für Jugendsachen bei der Polizei Hildesheim und Mitglied im Arbeitskreis, unterstützt die Stoßrichtung der Fachhochschul-Arbeit: "In Einzelfällen leistet die Polizei Vollzugshilfe, in dem sie das Ordnungsamt , in Einzelfällen auch das Jugendamt, bei der Zuführung von Schulschwänzern in den Unterricht unterstützt. Diese Verfahrensweise blieb jedoch bislang auf Ausnahmefälle beschränkt, zumal es hier auch schon Fälle gab, in denen die betroffenen Schülerinnen und Schüler einen solchen ‚Auftritt‘ geradezu genossen, später jedoch erneut dem Unterricht fern blieben." Die Hildesheimer Arbeitsgemeinschaft habe sich zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit der zum Thema "Schulverweigerung" arbeitenden Institutionen zu verbessern und dem Problem auf der Basis eines gemeinsamen Handlungskonzeptes zu begegnen.
"Deutlich wurde aus hiesiger Sicht", betont Ruth Lüder, "dass die originäre Zuständigkeit für die Feststellung des Schulschwänzens bei den Schulen liegt und hier erste Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Eltern erfolgen müssen. In vielen Fällen wird es jedoch erforderlich sein, dass Schule in Kooperation mit Jugendhilfe tätig sein muss. Die vorliegende Diplomarbeit bietet eine gute Basis, auf der die Kooperation von Schule und Jugendhilfe, aber anlassbezogen auch mit der Polizei, für die Stadt und den Landkreis Hildesheim abgestimmt werden kann."
Ungeachtet weiterer möglicher Maßnahmen gegen Schulabsentismus wollen die Stadt Hildesheim und die Fachhochschule den "Hi-Scout" am Dienstag, 25. September, um 15 Uhr im Senatssitzungssaal am Goschentor 1 der Öffentlichkeit und interessierten Lehrern präsentieren.