Prof. Dr. Ulla Beushausen zieht Fazit als erste deutsche Logopädieprofessorin

Erscheinungsdatum: 09.12.2021

Während viele Industrienationen seit Jahren Logopädie als akademisches Berufsfeld verstehen, setzte Deutschland zur Ausbildung von Sprachtherapeut*innen bis zur Jahrtausendwende exklusiv auf berufspraktische Schulen. Die Akademisierung des Fachgebiets begann in Deutschland vor 20 Jahren unter anderem an der HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit am Standort Hildesheim. Sie gründete den damals deutschlandweit einzigartigen Modellstudiengang Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie. Als erste Professorin für Logopädie startete Prof. Dr. Ulla Beushausen in ihre Lehr- und Forschungstätigkeit.

Heute erinnert sie sich an die Anfänge und zieht ein Fazit für die Zukunft. „Das war im Jahr 2001 einzigartig: Es gab schon Professuren für Physiotherapie und Ergotherapie aber noch nicht für Logopädie. Das war die erste, die praktisch dort ins Leben gerufen worden ist – das heißt, ich bin auch Deutschlands erste Professorin für Logopädie“, erinnert sich Prof. Dr. Ulla Beushausen. Zu vielen Inhalten, die sie laut Lehrplan behandeln sollte, existierte in der Frühphase mit 45 Studienplätzen noch keine Literatur.

 

„Ich habe dann einen Lehrplan bekommen und da stand dann: ‚Theorie der Logopädie‘. Dann habe ich erst einmal überlegt, was ist das eigentlich? Was soll ich denn jetzt lehren?“ So stieg Beushausen in Recherche und Forschung ein und schrieb in den letzten 20 Jahren zehn Fachbücher, beispielsweise zur Theorie der Logopädie, zu verschiedenen Aspekten der Stimmtherapie, zum Clinical Reasoning, sowie auch zur Evidenzbasierung, also der Gewinnung, Bewertung und Anwendung wissenschaftlicher, empirisch ermittelter Erkenntnisse in der Logopädie. Den vermeintlichen Konflikt zwischen Theorie und Praxis sieht Ulla Beushausen als Scheinkonflikt. Viele Berufsangehörige haben Theorie und Praxis als gegensätzlich verstanden und daher auch als Argument gegen die Einführung einer hochschulischen Ausbildung ins Feld geführt. Die wissenschaftliche Verknüpfung von Theorie und Praxis stellt jedoch die Chance zur Weiterentwicklung der Logopädie dar. Aus der Praxis sollten Fragen an die Wissenschaft entstehen, die dazu beitragen, dass Logopäd*innen ihre therapeutischen Fragestellungen zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung machen.

Insbesondere die Entwicklung des Arbeitsfeldes Forschung in der Logopädie ist der Professorin wichtig. Dabei geht es ihr im Besonderen um die Vermittlung von fundierten Forschungskenntnissen im Masterstudiengang Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie.

Seit dem Jahr 2016 bietet die Hochschule am Gesundheitscampus Göttingen, einer Kooperation der Universitätsmedizin Göttingen und der HAWK, auch den dualen ausbildungsintegrierenden Bachelorstudiengang Therapiewissenschaften, Logopädie und Physiotherapie (dual). Dort studieren insgesamt 154 Studierende, für die das Studium an der HAWK eng mit der Ausbildung an der Bildungsakademie der Universitätsmedizin Göttingen verzahnt ist. Prof. Dr. Juliane Leinweber, Studiendekanin Gesundheit der HAWK-Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit, betreut dort die Studienrichtung Logopädie. Als promovierte Logopädin schätzt sie besonders die Pionierarbeit ihrer Kollegin Beushausen, ebenso wie die der HAWK, die sie auch am Gesundheitscampus Göttingen wahrnimmt. Für Sie sind „die berufsgruppenübergreifende akademische Sozialisation aller Studiengänge am Gesundheitscampus und die Nähe zur Humanmedizin am Universitätsklinikum Göttingen von enormer Relevanz. Für die Studierenden soll ein interprofessionelles Kompetenzprofil geschaffen werden, das sie bestmöglich für das spätere, multiprofessionelle Berufsfeld vorbereitet.“

Am Standort Hildesheim unterstützt auch Logopädin Dr. Bianka Wachtlin, die seit 2018 als Verwaltungsprofessorin für Logopädie arbeitet, tatkräftig die Theoriebildung in der Logopädie. Erfreulicherweise bieten heute mehr Universitäten und Hochschulen die Logopädie als akademisches Fach an. Trotzdem bleibt viel zu tun, denn obwohl Prof. Dr. Beushausen bereits vor zehn Jahren prognostizierte, dass die Akademisierung der Logopädie bis 2021 gelingen könnte, hat sich¬¬ ihrer Ansicht nach in der Realität zu wenig bewegt. Gründe hierfür sieht sie unter anderem in System und Politik: „Es ist politisch anscheinend nicht gewollt und wird von Politiker*innen und Parteien bisher nicht hinreichend unterstützt, dass sich diese Berufe akademisieren“, kritisiert Beushausen. Von der neuen Bundesregierung wünscht sie sich hier einen Umschwung.

In der Berufspraxis hat sich trotz vereinzelter Studienangebote noch nicht viel geändert: „Die Voraussetzung, um eine Praxis zu führen ist nicht, dass man studiert hat, sondern dass man den Abschluss hat und den bieten auch Berufsfachschulen an. Da ist Deutschland leider immer noch ein Schlusslicht – alle anderen Länder sind akademisiert, nur Deutschland nicht.“

Für die Zukunft wünscht sich Beushausen mehr Akademisierung und Forschung in ihrem Fachgebiet: „Also, was ich mir wünschen würde ist, dass die Akademisierung jetzt ganz, ganz schnell gelingt und dass alle, die es möchten, die Möglichkeit haben, zu studieren. Der Beruf sollte dann auch als akademischer Beruf entlohnt werden und nicht als Ausbildungsberuf. Zudem wünsche ich mir auch weiterhin viele Forschungsprojekte zu logopädischen Fragestellungen an der HAWK.“

Auch Prof. Dr. Leinweber vom Gesundheitscampus Göttingen blickt hoffnungsvoll in die Zukunft der akademischen Logopädie: „Ich hoffe, dass die Studierenden diesen Akademisierungsprozess weiterhin vorantreiben“ und dadurch ebenso Pionierarbeit leisten (müssen) wie einst ihre Kollegin Beushausen. „Ich wünsche mir, dass Logopäd*innen beispielsweise digitale Innovationen für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung fachlich und konzeptionell aktiv mitgestalten.“