Ausstellung für Inklusives Design: Studierende erforschen die Stadt

Erscheinungsdatum: 02.11.2021

Wie kann Inklusives Design zu einem selbstverständlichen Teil der Designlehre werden? Genau das erforschen Lehrende und Studierende der Fakultät Gestaltung der HAWK in Hildesheim aktuell in einem Projekt, gefördert mit Mitteln aus dem Programm Innovation Plus. Knapp 50.000 Euro Förderung bekommt die Fakultät Gestaltung dafür vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Die erste Phase ist nun abgeschlossen – die Ergebnisse sind ab dem 16. November in einer Ausstellung auf dem Campus Weinberg zu sehen.

Die Studierenden bearbeiteten die Wege vom Bahnhof bis zum Campus Weinberg in der Renatastraße und fanden viele Projekte, die inklusiv gestaltet wurden. Der Prozess wurde partizipativ gestaltet und von Expertinnen und Experten begleitet – immer getreu nach dem Motto „Nichts über uns – ohne uns“. Neben einem fünftägigen Workshop diente auch ein dreitägiges Symposium zur Vorbereitung auf ein Projekt, das alle Benutzergruppen gleichberechtigt in den Fokus nehmen soll.

Eine Fortsetzung des Projekts findet in diesem Wintersemester statt. Dann steht die Methodik und Didaktik von inklusiver Designlehre im Vordergrund. Als Ergebnis ist eine Publikation geplant, die allen Designhochschulen im deutschsprachigen Raum zur Verfügung gestellt wird. Das Projekt leiten Prof. Barbara Kotte, Prof. Andreas Schulz, Prof. Günter Weber und Tobias Witt mit Unterstützung des wissenschaftlichen Mitarbeiters Tiemo Brants.

Eine Parkbank für alle

Mit dieser Vorbereitung fanden Tina Schönheit, Wanja David Biesecker und Haoxiang Wang ein Problem auf der Strecke zwischen Bahnhof und Campus: Es gibt zu wenige Sitzgelegenheiten. In einer Umfrage wurde dies nicht nur bestätigt, sondern es wurden auch die verschiedenen Anforderungen an diese definiert. Sie sprachen mit einer Frau, die nach einem Unfall nur noch kurze Wege zurücklegen kann, mit einer 60-Jähriger mit Hüftleiden – aber auch mit einer Frau mit posttraumatischen Störungen, die sich auf öffentlichen Bänken wie auf einem Präsentierteller fühlt. In die Überlegungen einbezogen wurde aber auch ein 30-jähriger Familienvater mit zwei Kleinkindern. Sie alle haben andere Ansprüche, wenn sie sich in der Stadt ausruhen möchten. Manche der angebotenen Sitzflächen nehmen sie als verschmutzt wahr, sie wünschen sich unterschiedliche Sitzhöhen. Denn älteren Menschen fällt beispielsweise das Aufstehen von handelsüblichen Parkbänken schwer, während sie für Kinder zu hoch sind.

 

Als Lösungsvorschlag entwickelte das Trio eine Bank aus Beton mit kunstvoll geschwungenen Linien. Sie erlaubt Sitzen in verschiedenen Höhen, offen und leicht versteckt, sie ermöglicht auch Anlehnen und sogar Liegen. Aus Sicht der Studierenden bieten sich Städten durch das urbane Sitzmöbel, dessen Materialwert 300 Euro nicht überschreitet, viele Vorteile. Durch den skulpturalen Charakter ergänzt es das Stadtbild, in den Beton können Botschaften von Förderern oder das Stadtlogo eingelassen werden. Bei der Präsentation anwesend ist auch die Hildesheimer Stadtbaurätin Andrea Döring: „Bald bekommen wir hoffentlich Fördermittel für kleine Wohlfühlinseln. In diesem Sinne würde ich gerne mit Ihnen für den Prototyp in Kontakt blieben.“

Ausflüge in Leichter Sprache

Eine andere Lücke haben Louisa Heuter und Saina Nouri entdeckt. Den beiden Studentinnen fiel auf, dass es zwar Stadtführungen für Rollstuhlfahrende und sehbehinderte Menschen gibt, aber keine Angebote in Leichter Sprache, zum Beispiel für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen mit geringen Deutschkenntnissen. Weil das auch in anderen Städten so ist, entwickelte das Duo „HIL – Hildesheim ist leicht“. Es handelt sich um eine App mit leicht verständlichen Informationen, um Hildesheim kennenzulernen und inklusive Ausflüge selbstbestimmt zu planen.

 

Die App setzt am Beginn eines Ausflugs an – bei der Planung. HIL bietet die Auswahl zwischen kurzen und langen Ausflügen, zwischen Stadt, Kultur und Natur. Es ist möglich, den Ausflug optional mit einem spielerischen oder einem informativen Schwerpunkt zu gestalten. Alles unterstützt mit Bildern und Texten in Leichter Sprache, also einfachen und bekannten Wörtern sowie kurzen Sätzen mit nur einer Aussage in großer, gut lesbarer Schrift. Durch das Programm führt die illustrierte Figur Hilly. Für die Konzeption und Umsetzung führten die beiden Studentinnen Interviews mit der Zielgruppe und befragten Mitglieder des Netzwerks Leichte Sprache und des Gehörlosenverbands Niedersachsen. Ergebnis: Über 90 Prozent befürworteten die Entwicklung einer solchen App. Auch Experte Gregor Strutz von inkl.Design, einer führenden Agentur für Inklusives Design, ist begeistert von der Idee und regt darüber hinaus an, auch auszuweisen, inwiefern die Wege barrierefrei sind.

Kaum sichtbar: Psychische Erkrankungen

Genau wie Adressaten für Leichte Sprache sind auch Menschen mit psychischen Erkrankungen und Störungen optisch kaum erkennbar. Für eine höhere Beachtung macht das Projekt „Voices From The Archives“ typische Situationen Betroffener spürbar, damit andere diese nachempfinden können. Als Ort des Geschehens wählten die Studierenden Myriam Armstrong, Nathalie Lilje, Marina Steenbergen, Jurek Behre und Caetano Calvanico den Campus Weinberg aus und gestalteten ihn mit unterschiedlichen Medien um. Ein interaktives Hörspiel dokumentiert aus der Ich-Perspektive, wie Personen mit Angststörungen volle Räume, öffentliche Toiletten oder Aufzüge betreten. Die Audio-Guides sind über eine Spotify-Playlist abrufbar.

 

Ein weiteres Instrument der Kampagne sind Plakate, die auf Legasthenie, Angststörungen sowie ADS und ADHS aufmerksam machen, indem für diese Krankheiten typische Gedankenmuster und helfende Wörter so gestaltet wurden, wie es sich für Betroffene anfühlt. Die einzelnen Serien steigern sich von Motiv zu Motiv, um eben bei nicht betroffenen Menschen Aufmerksamkeit für diese Erkrankungen zu schaffen. Mit dieser Projektidee knüpft die Gruppe bei Selbsterfahrungsmethoden mit Rollstühlen und Brillen zur Simulation von Blindheit an. Manuela Myszka, stellvertretende Vorsitzende des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin, rät: „Die Umsetzung müsste personell begleitet werden, um beispielsweise eine Panikattacke im Aufzug zu vermeiden.“

Öffnungszeiten

Die Ergebnisse der ersten Projektphase werden vom 16. bis 30. November 2021 im Raumlabor auf dem Campus Weinberg in der Renatastraße 11 gezeigt. Die Ausstellung ist montags bis freitags von 12 bis 16 Uhr geöffnet. Während der Ausstellung beantworten Teilnehmende des Projektes gern Fragen. Die Vernissage ist am 16. November 2021 um 18 Uhr. Hier gilt die 3 G Regel sowie die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske.

Kontakt

Profil
Kompetenzfeldkoordination Innenarchitektur