Herzogin Anna Amalia Bibliothek und HAWK eröffnen Akademische Lehrwerkstatt

Erscheinungsdatum: 24.05.2019

Nach dem verheerenden Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004, bei dem 50 000 Bücher des Bestandes vernichtet und unzählige durch Brand und Löschwasser beschädigt wurden, hatte die HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaften Hildesheim/ Holzminden/Göttingen immer wieder aktiv in Weimar bei der Restaurierung von Bucheinbänden, Druckschriften und Musikhandschriften mitgearbeitet, vor allem auch bei der Entwicklung von Mengenverfahren, um deutlich zeitaufwendigere Einzelobjektverfahren abzulösen.

2008 konnte in Weimar-Legefeld die bundesweit einzige Restaurierungswerkstatt für brandgeschädigtes Schriftgut errichtet und am 22. Mai 2019 ihre Funktion erweitert und die Akademische Lehrwerkstatt in Kooperation mit der HAWK eröffnet werden. Sie ist der perfekte Lernort für die Studierenden der Konservierung und Restaurierung in der Studienvertiefung Schriftgut, Buch und Grafik aus Hildesheim, denn die HAWK ist die einzige Hochschule in Deutschland, die fachlich das Gebiet der konservatorischen und restauratorischen Mengenbehandlung bearbeitet. Im Mittelpunkt stehen die Methoden der Papierstabilisierung für die „Aschebücher“. Die Wissensvermittlung in der Akademischen Lehrwerkstatt unterscheidet sich von den bisher üblichen externen Praktika in einem sehr wichtigen Punkt, und dies sind abgestimmte, feststehende Praxisinhalte und Lernziele. Die notwendigen materialwissenschaftlichen Grundlagen werden gezielt durch vorbereitende und begleitende Vorlesungen und Übungen an der HAWK vermittelt.   

 

Die Studentinnen Gerlind Junge, Kristina Oeser und Nathaly Witt arbeiten jetzt als erste ihres Studiengangs an allen Arbeitsstationen der Werkstatt mit: Kollationieren, Einlegen in die Kompressionskassetten, Nassbehandlung, Anfasern von Fehlstellen, Falzung zu Lagen. In standardisierten Mengenverfahren werden aus von Asche umhüllten Buchresten, den sogenannten „Aschebüchern“, deren Einbände, Bindung und Buchblöcke teilweise verbrannt oder schwer beschädigt sind, wieder Bücher, in denen durch das Anfasern der Fehlstellen und dem neuen Konservierungseinband wieder geblättert und gelesen werden kann. Das Verfahren ermöglicht die Bearbeitung von 60 000 Blatt pro Jahr, bis 2028 sollen hier 1,5 Millionen Blatt – aus einer geborgenen Menge von 7 Millionen -gesichert und restauriert werden.

14 Tage lang Praxiserfahrung vor Ort bzw. Einbeziehung in die Entwicklungsarbeit, so steht es im Kooperationsvertrag, gehören jetzt zum festen Bestandteil des Curriculums des Bachelor-  und Masterstudiengangs der HAWK. „Ich freue mich sehr, dass die HAWK jetzt akademische Lehrwerkstatt und Partnerin der Restaurierungswerkstätten der Anna Amalia Bibliothek ist, das zeigt welchen Stellenwert wir in der Fachcommunity haben“, so HAWK-Präsident Dr. Marc Hudy bei der Unterschrift des Kooperationsvertrages in Weimar. „Wer sich mit Konservierung und Restaurierung und Mengenbehandlung von Büchern beschäftigt, wo wäre der, wenn nicht hier, wo vor 15 Jahren dieses Großschadensereignis stattgefunden hat und immer noch aufgearbeitet werden muss?“

„Es ist ein guter Tag für die Bibliothek“, freute sich Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, die auch Betreiberin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek (HAAB) in Weimar ist. „Mit dieser Lehrwerkstatt professionalisieren wir die Kooperation mit der HAWK“, fuhr er bei der offiziellen Eröffnung in Weimar-Legefeld fort, „seit dieser Woche arbeiten wir nicht mehr nur in Projekten zusammen, sondern in einer langfristig gedachten Kooperation.“ Die Lehrwerkstatt soll in der Perspektive 2021 bis 2028 als Teil eines Labors zur Bestandserhaltung, das als Fachzentrum und Servicestelle zur Erhaltung beschädigter und abgebauter Papiere in großen Mengen im Sinne eines Dienstleistungsunternehmens für öffentliche und kirchliche Einrichtungen (Archive, Bibliotheken, Museen) weiterentwickelt werden.

 „Eine Infrastruktureinrichtung wie die HAAB und ihre Werkstätten können sich eigentlich nur weiterentwickeln, wenn sie das im engen Austausch mit Forschung und Lehre tun. Dieser Austausch füllt diese Infrastruktur erst mit Leben“, so Dr. Reinhard Laube, Direktor der HAAB. Bei der Kooperation ginge es um das Weitergeben von Kompetenzen, die Anbindung an die Forschung, und vor allem um das Weitergeben von Wissen an die nächste Generation.

„Die Methode, die hier entwickelt wurde, wurde für die Weimarer Aschebücher entwickelt, aber sie hat natürlich ein großes Potenzial für andere Mengenschäden. Während wir im Bachelor ein Praxistraining für Studierende in Weimar jetzt anbieten können, steht im Master u.a. die Mitwirkung bei der Weiterentwicklung für andere Mengenschäden im Fokus, bspw. durch Schimmelbefall oder sogenannten Papierzerfall“, zeigt HAWK-Prof. Ulrike Hähner, Leiterin der Studienrichtung Schriftgut, Buch und Grafik, die neuen Perspektiven für die Studienrichtung auf.


Zum Hintergrund: (Quelle: Herzogin Anna Amalia Bibliothek)

Am 2. September 2004, dem Tag des Brandes, waren 196.000 Bücher im Historischen Bibliotheksgebäude untergebracht, weitere 800.000 Bücher in vier Außenmagazinen deponiert. 28.000 Bände wurden unversehrt aus dem Rokokosaal geborgen. 50.000 Bücher sind verbrannt. 118.000 Bücher konnten nur noch beschädigt geborgen werden.
Von den 118.000 beschädigten Büchern wiesen 56.000 Bücher Ruß-, Rauch- und verschiedene Schadstoffbelastungen auf. 62.000 Bücher hatten leichte bis irreparable Schäden durch Löschwasser, Hitze und Feuer. Dazu gehören 37.000 Bücher mit Einbandschäden sowie 25.000 Bergungseinheiten aus dem Brandschutt. Diese sogenannten Aschebücher entsprechen insgesamt 7 Millionen Einzelblättern.

2004 bis 2018 wurden alle 56.000 ruß- und rauchgeschädigten Bücher mit Schadstoffbelastungen gereinigt, dekontaminiert und konservatorisch versorgt. Die 37.000 Bücher mit Einbandschäden sind mittlerweile fast vollständig restauriert. Von den 7 Millionen Blatt Aschebüchern sind 1,5 Millionen Blatt zur Restaurierung vorgesehen. Bislang konnten 0,86 Millionen Blatt restauriert werden.
2004 gab es keine Methode, um Brandschäden an Büchern in großen Mengen konservatorisch und restauratorisch zu behandeln. 2008 konnte die bundesweit einzige Restaurierungswerkstatt für brandgeschädigtes Schriftgut in Weimar-Legefeld errichtet werden. Hier werden durch ein standardisiertes Verfahren jährlich circa 60.000 Einzelblätter restauriert.

Zum Hintergrund (Quelle HAWK):

Seit 2008 gibt es eine enge fachliche Kooperation zwischen beiden Institutionen, HAAB und HAWK, mit verschiedenen Projekten zur Entwicklung von Restaurierungsmethoden, bei welcher zunächst die Bucheinbände mit Hitze- und Wasserschäden im Mittelpunkt standen. Bisherige Höhepunkte der Zusammenarbeit waren 2014 die Eröffnung der gemeinsam konzipierten Bilanzausstellung mit Begleitbuch „Restaurieren nach dem Brand - Die Rettung der Bücher der Herzogin Anna Amalia Bibliothek“, an deren Vorbereitung Studierende mitwirkten, sowie 2017 die Ausstellung „Bücher erhalten – Hildesheimer Studierende erproben Strategie“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, welche die Ergebnisse der Versuche der Übertragbarkeit der Weimarer Methoden auf beschädigte Buchbestände der Wissenschaftlichen Bibliothek des Stadtarchivs Hildesheim zum Inhalt hatte.

 

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