Promotion von Zora Becker über Verantwortung in der Dorfentwicklung

Erscheinungsdatum: 08.07.2020

Seit vielen Jahren werden mit dem niedersächsischen Dorfentwicklungsprogramm ländliche Regionen in ihrer Entwicklung unterstützt. Die Beteiligung von Bürger/innen und Akteur/innen vor Ort ist ein wichtiger Bestandteil bei der Entstehung von Dorfentwicklungsplänen. Doch was die Verantwortungsübernahme der Dorfgemeinschaften angeht, gibt es noch ungenutzte Potenziale.

Das hat Zora Becker, Absolventin des HAWK-Masterstudiengangs Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung, in ihrer Promotion festgestellt. Unter Bürger/innen gebe es eine große Bereitschaft, Mitverantwortung in der Dorfentwicklung zu übernehmen. Bislang gelänge es allerdings kaum, diese Potenziale auch zu nutzen.

 

Von 2016 bis 2019 war Becker Stipendiatin des Niedersächsischen Promotionsprogramms „Dörfer in Verantwortung – Chancengerechtigkeit in ländlichen Räumen sichern“. Dieses Promotionsprogramm ist ein gemeinsames Vorhaben der Universität Vechta, der Leibniz Universität Hannover und der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen.


Die Dissertation von Zora Becker mit dem Titel: „Die Zukunft der Dorfentwicklung im Lichte neuer Verantwortungsstrukturen und Planungsmethoden“ wurde von apl. Prof. Dr. Karl Martin Born (Universität Vechta) und Prof. Dr. Ulrich Harteisen (HAWK) betreut. „Im Rahmen des kooperativen Promotionsverfahrens in bewährter Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Geographie der Universität Vechta können wir unseren leistungsstarken Absolventinnen und Absolventen so auch den Weg zur Promotion ebnen“, freut sich Prof. Dr. Ulrich Harteisen.


Becker setzt sich in ihrer Dissertation am Beispiel der niedersächsischen Dorfentwicklung mit Fragen der gemeinsamen Verantwortungsübernahme und der Ausgestaltung von Ver-antwortungsgemeinschaften in Dörfern auseinander. Vor dem Hintergrund des anhaltenden wirtschaftsstrukturellen und demografischen Wandels, oft verbunden mit einem Verlust von Strukturen der Daseinsvorsorge, verlieren Dörfer zunehmend an Attraktivität als Lebensraum. Das traditionelle Planungs- und Umsetzungsinstrument Dorfentwicklung/Dorferneuerung versucht diesen Herausforderungen insbesondere durch eine noch stärkere Einbindung der Bürger/innen zu begegnen. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Dorfbewohner/innen gilt es, in die Prozesse der Dorfentwicklung zu integrieren, um innovative Lösungsansätze und dauerhafte Verbesserungen der Lebensqualität in Dörfern zu erreichen. Hier knüpft die Forschung von Becker an und analysiert, ausgehend von der heutigen Rolle und Bedeutung von Dorfgemeinschaften als Verantwortungsgemeinschaften, die unterstützende Wirkung des Instruments Dorfentwicklung. Weiterhin fragt sie nach der Wirkung der planerischen Methoden und diskutiert, ob, verbunden mit einer inhaltlichen Weiterentwicklung und Neuorientierung der Dorfentwicklung, nicht auch neue Planungsmethoden notwendig sind.


Becker hat sich für einen qualitativen Forschungsansatz mit zwei unterschiedlichen methodischen Zugängen entschieden: das Experteninterview und Fokusgruppen. In den zwei niedersächsischen Dorfregionen „Von Bierde bis Wittlohe“ und „Rehburg-Loccum“ hat sie Erfahrungen und Erwartungen von Bürger/innen erhoben und diese Alltagsperspektive mit der Fachperspektive von Dorfplaner/inne/n verknüpft. Mit Interviews von 13 Planer/inne/n aus elf niedersächsischen Pla-nungsbüros konnte eine große Perspektivenvielfalt sichergestellt und ein umfangreiches Expertenwissen generiert werden.


Becker stellt fest, dass sich die Thematisierung von einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme im Rahmen der Dorfentwicklung anbietet und betont in diesem Zusammenhang, dass die Etablierung einer neuartigen Verantwortungsgemeinschaft die Bereitschaft aller Beteiligten voraussetzt, über die eigene Rolle und das Aufgabenverständnis und damit verbunden auch über eine Neuverteilung von Verantwortung offen nachzudenken.
Hervorgehoben wird die Notwendigkeit einer stärkeren Fokussierung des Förderprogramms Dorfentwicklung auf soziale Belange, was wiederum nur gelingen kann, wenn Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner zunehmend eine Mitverantwortung im Dorfentwicklungsprozess bekommen. Die damit verbundenen Herausforderungen für Politik, Planung und Dorfgemeinschaft werden durch die empirische Forschung sehr gut herausgearbeitet.

Interview mit Zora Becker

Wie sieht Dorfentwicklung bisher aus und welche Rolle spielt dabei die Verantwortungsübernahme von Bürgerinnen und Bürgern?
Die niedersächsische Dorfentwicklung ist ein Förderprogramm für Dörfer und Dorfregionen, in denen vor Ort, partizipativ ausgestaltet und begleitet durch ein Planungsbüro, ein Dorfentwicklungsplan geschrieben wird. Anschließend werden einzelne Projekte in der Umsetzungsphase gefördert.

 

Partizipation ist in der Dorfentwicklung also ein zentrales Thema, aber bisher wird eine Verantwortungsübernahme durch die Bürgerinnen und Bürger nicht konkret thematisiert. Dementgegen steht, dass Bürgerinnen und Bürger durch ihr Engagement vor Ort schon viel Verantwortung übernehmen.

Was ist die wichtigste Erkenntnis Ihrer Arbeit?
Ich habe den Zusammenhang von Verantwortung und Dorfentwicklung vertiefend analysiert und die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Verantwortungsübernahme in der Dorfentwicklung herausgestellt, um den Herausforderungen ländlicher Räume auch zukünftig erfolgreich zu begegnen.
In meiner empirischen Forschung konnte ich bestätigen, dass das Gemeinwohlinteresse und die Wichtigkeit des Miteinanders für Bürgerinnen und Bürger als Handlungsorientierung dient.
Insgesamt zeigt sich eine zunehmende Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, Mitverantwortung in der Dorfentwicklung zu übernehmen. Die Dorfentwicklung bietet grundsätzlich die Chance, Verantwortungsübernahme und -verteilung zwischen den Akteurinnen und Akteuren neu zu verhandeln. Um dieses Potenzial aber auch zu heben, fehlen in der Dorfentwicklung oft noch die passenden Strukturen und Methoden.

Wie könnte das Instrument Dorfentwicklung verbessert werden?
Um die Potenziale der Verantwortungsübernahme heben zu können, bräuchte es unter anderem eine Stärkung der Umsetzungsphase und eine Ausweitung der Partizipation. Bisher ist die partizipative Prozessgestaltung vor allem auf die Phase der Entwicklung des Dorfentwicklungsplanes beschränkt – eine Weiterführung der Partizipation in der anschließenden Umsetzungsphase der Projekte würde die geschaffene Motivation vor Ort aufrechterhalten und die Bürgerinnen und Bürger langfristiger enger einbinden. Dafür braucht es ein Zusammenspiel der verschiedenen Akteure. Die Planerinnen und Planer sind in der Rolle, die gemeinsame Verantwortungsübernahme in den Prozess zu integrieren und sie entsprechend methodisch zu gestalten. Die Ämter für regionale Landesentwicklung sind hingegen für die rechtlichen Rahmenbedingungen und die entsprechenden Förderstrukturen zuständig, während die Bürgerinnen und Bürger ein Interesse haben müssen, auch Verantwortung vor Ort übernehmen zu wollen. Der Veränderungsprozess braucht also ein Zusammenspiel von Bürgerinnen und Bürgern, die Verantwortung einfordern, motivierten Planerinnen und Planer, die bereit sind, neue Dinge auszutesten, eine kommunale Ebene, die nicht sofort alles abblockt und eine rechtliche Rahmengebung, die diese Handlungsspielräume ermöglicht und unterstützt. Neben der Ausweitung der Partizipation bis hin zu einer Abgabe an (Teil-)Verantwortung an die Bürgerinnen und Bürger ist die Verstetigung ein wichtiger Punkt. Es sollte sich frühzeitig damit auseinandergesetzt werden, was verstetigt werden könnte und wie dies möglich ist, um über den Prozess der Dorfentwicklung hinaus Strukturen zu erhalten und Veränderungen anzustoßen