Erscheinungsdatum: 20.04.2017

Erfahrungen von einer externen Lehrveranstaltung in Florenz und Siena

Zum Auftakt des Sommersemesters 2017 studierten 11 Masterstudentinnen der Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft unter Leitung von Professorin Dr. Ursula Schädler-Saub eine Woche lang ausgewählte Kunst- und Kulturdenkmale vor Ort, in Florenz und Siena. Der Schwerpunkt lag bei Bildwerken der Renaissance. In Florenz widmeten sie sich neben hochberühmten Beispielen wie den Medici-Grabmälern von Michelangelo in der Neuen Sakristei von San Lorenzo oder den Skulpturen des Quattrocento im Museum des Bargello auch weniger prominenten, aber kulturhistorisch bedeutsamen Werken wie etwa im Museum zur Florentiner Wohnkultur der Renaissance im Palazzo Davanzati.

Kunst auch jenseits typischer Touristenziele

Die Gemäldegalerie von Palazzo Pitti mit ihren weltbekannten Meisterwerken stand ebenso auf dem Programm wie die spannende Sammlung von Skulpturenfragmenten des 12.-16. Jahrhunderts der Fondazione Salvatore Romano, in die sich kaum ein Tourist verirrt. Auch die historischen Bibliotheksräume der Medici faszinierten die Studentinnen durch ihre für das 15.-16. Jahrhundert avantgardistische Funktionalität, verbunden mit Wohlproportioniertheit und vielen innovativen Bau- und Ausstattungsdetails. Das betrifft die vom Architekten Michelozzo im Auftrag Cosimo des Älteren errichtete Bibliothek im Kloster von San Marco ebenso wie Michelangelos Biblioteca Laurenziana, die Papst Clemens VII. (Giulio de’ Medici) erbauen ließ. In Siena besuchten die Studentinnen den Dom mit seiner überreichen Ausstattung von der Gotik bis zum Barock und das Dom-Museum mit berühmten Kunstwerken wie der "Maestà" von Duccio di Buoninsegna; außerdem, abseits der Touristenströme, die Pinacoteca Nazionale mit ihrer auch für Fachleute überwältigenden Vielfalt an teils gut, teils fragmentarisch erhaltenen Altarretabeln des Mittelalters und der Renaissance.

Eindruck der realen Objekte

Was lernt man beim Studium vor Ort – besser als aus Büchern, von Abbildungen und Powerpoint-Präsentationen? Die Materialität der Kunstwerke, die historischen künstlerischen Techniken, Hinzufügungen und Überarbeitungen werden deutlich, ebenso der Erhaltungszustand mit allen Spuren früherer Pflegemaßnahmen, Reparaturen und Restaurierungen. Auch bei weltberühmten Kunstwerken wie den Skulpturen Michelangelos oder den Wandmalereien Masaccios in der Brancacci-Kapelle, die man durch vielfache, immer wieder gesehene Reproduktionen sozusagen auswendig zu kennen glaubt, kann das zu neuen Perspektiven auf vermeintlich Bekanntes führen. Die originale Handschrift der Künstler lässt sich vielfach noch ablesen, ebenso das Bemühen späterer Generationen, diese Kunstwerke zu erhalten, auch wenn die angewandten Maßnahmen im Nachhinein oft mehr zu Beschädigungen als zur dauerhaften Bewahrung des Originals beigetragen haben – beispielsweise mit dem Auftrag von ungünstigen Beschichtungen zum Schutze der Oberflächen, die in den historischen Quellen vielfach genannten "Beveroni" aus Öl, Ei und anderen Substanzen, die für uns heute eindeutig in die Küche, aber nicht auf Wandmalereien gehören. Zu nennen sind auch die früher weit verbreiteten Pflegemaßnahmen mit Wachs und Öl auf Marmorskulpturen, die unter anderem zu Verfärbungen und Flecken und somit zu einer Verunklärung der künstlerischen Aussage führen können. Die Hildesheimer Studentinnen befassten sich auch mit jüngeren restauratorischen Maßnahmen, die inzwischen schon Teil der Restaurierungsgeschichte geworden sind: Das Kruzifix von Cimabue, das vielleicht prominenteste Opfer der Florentiner Flutkatastrophe von 1966, dessen große, nicht rekonstruierbare Fehlstellen mit den von Umberto Baldini und Ornella Casazza nach den Prinzipien der "Unità di Metodologia" in den 1970er Jahren entwickelten Techniken der "Astrazione cromatica", "Selezione cromatica" und "Selezione dell’oro" ergänzt wurden. Die Weiterentwicklung dieser Restaurierungsmethodik in den 1980er Jahren lässt sich an den Wandmalereien in der Brancacci-Kapelle studieren. In prominenten und weniger bekannten Sammlungen erfuhren die Studentinnen, wie sehr die Art der Präsentation von mehr oder weniger fragmentarischen Bildwerken ihre ästhetische Wahrnehmung beeinflussen kann. Auch wenn diese Präsentationen nicht immer unserem heutigen Zeitgeschmack entsprechen, sind sie vielfach schon zu einem wichtigen kulturellen Zeugnis geworden, das es zu erhalten gilt.

Ein kurzes Fazit: Kunstwerke kann man nur verstehen, wenn man sie auch in ihrer Materialität, mit allen Spuren ihrer Objekt- und Restaurierungsgeschichte wahrnimmt, im Wandel unterschiedlicher Vorstellungen, Wertschätzungen und Bedürfnisse seitens der Fachleute und der Gesellschaft im Allgemeinen. Dies sollte ein Ansporn sein für eine noch intensivere kollegiale Zusammenarbeit zwischen Restaurator/inn/en und Kunsthistoriker/inne/n!

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub

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