Interview über ein am Gesundheitscampus Göttingen entwickeltes KI-Endoskop

Erscheinungsdatum: 21.03.2024

Bauchspeicheldrüsenkrebs, auch Pankreaskarzinom genannt, stellt eine der größten Herausforderungen in der onkologischen Medizin dar, vor allem aufgrund fehlender Möglichkeiten zur Früherkennung, der späten Diagnose im meist fortgeschrittenen Tumorgeschehen und der Schwierigkeit, Tumorvorstufen eindeutig zu erkennen. Als schwierig erweist sich häufig auch die Abgrenzung zur Bauchspeicheldrüsenentzündung, der Pankreatitis, die zwar das Risiko birgt, die Entstehung eines Pankreaskarzinoms zu fördern, aber an sich grundlegend anders behandelt wird.

Ein Forschungsprojekt, das sich der Miniaturisierung von Endoskopiesystemen und der Integration künstlicher Intelligenz (KI) widmet, stellt sich der Aufgabe, diese Hindernisse zu überwinden und einen signifikanten Fortschritt in der Früherkennung und Behandlung von Pankreaskarzinomen zu erzielen. Dr. Jeannine Mißbach-Güntner von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Prof. Dr. Christoph Rußmann von der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Gesundheit der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen am Standort Göttingen sind Teil des Entwicklungsteams am Gesundheitscampus Göttingen, eine Kooperation der UMG und der HAWK, und erklären im Interview den aktuellen Stand der Forschung.

Vor welchen Herausforderungen stehen Diagnostiker*innen bei der Pankreatitis und bei Pankreaskarzinomen?

Dr. Mißbach-Güntner: In Untersuchungen zum Pankreaskarzinom zeigt sich, dass oft nur etwa 10 Prozent des betroffenen Gewebes aus Tumorzellen bestehen, die sich häufig aus den veränderten Zellen der Pankreasgänge zu bösartigen Adenokarzinomen entwickeln. Der überwiegende Rest besteht aus narbigem Bindegewebe, einem bemerkenswerten Versuch des Körpers, sich selbst zu reparieren. Dieser Prozess lässt sich mit der Vernarbung einer entzündlichen Wunde vergleichen, in der Hoffnung, dem Gewebe mehr Festigkeit und Stabilität zu verleihen. Ähnlich verhält es sich mit der überschießenden Vermehrung von Bindegewebe im Pankreas als Versuch der Heilung. Dies führt dazu, dass systemische Therapien, wie beispielsweise Chemotherapien, ihr eigentliches Ziel – die verstreut liegenden Tumorzellen – oft nicht erreichen können.

 

Wie kann die Kombination von Bildgebungstechnologien und KI-Algorithmen Ärzt*innen dabei helfen, schnellere und präzisere Diagnosen zu erstellen?

Prof. Dr. Rußmann: Die Vision hinter der Weiterentwicklung endoskopischer Techniken ist es, über die traditionelle Farbbildgebung hinaus zu gehen und zusätzliche Modalitäten wie Fluoreszenzlebensdauerbildgebung, spektrale Bildgebung und Autofluoreszenzbildgebung zu integrieren. Diese neuen Modalitäten machen es möglich, aus den erzeugten Bilddaten einen umfassenden Datensatz zu erstellen, mit dem sich KI-Algorithmen trainieren lassen. Dabei werten Expert*innen, wie Patholog*innen oder Chirurg*innen, die Bilder aus und erklären der KI die Unterschiede zwischen Bindegewebe, gesundem Gewebe und Tumorgewebe. So trainiert kann die KI im praktischen Einsatz dann die Gewebearten unterscheiden

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Gruppe von Forschenden bei der Entwicklung dieser Technologie?

Prof. Dr. Rußmann: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, das Endoskop so zu gestalten, dass es klein genug ist, um sich effektiv einsetzen zu lassen, während es gleichzeitig verschiedene Kameras und Sensoren außerhalb des Körpers integriert. Diese Kameras müssen nicht nur schnell sein, um eine Echtzeitbildgebung zu gewährleisten, sondern die KI muss auch in der Lage sein, die Bilder schnell zu registrieren und zu analysieren, sodass sie genau übereinstimmen. Die KI dient dabei als Diagnoseassistent, der in Echtzeit Vorschläge macht, welche Art von Gewebe im Bild zu sehen ist.

Hinzukommt die Überprüfung der Technologie und der Beschaffung hochwertiger Datensätze. Um KI-Algorithmen effektiv zu trainieren, benötigen wir saubere und umfangreiche Datensätze.

Dr. Mißbach-Güntner: Diese Datensätze enthalten wertvolle (Bild-)Informationen, über die Zusammensetzung des Tumorgewebes, vermutlich auch solche, die bis heute noch nicht in die Charakterisierung des Tumors eingegangen sind. Unsere Aufgabe besteht also auch darin, zu prüfen, welche Parameter die KI zur Klassifizierung eigentlich nutzt. Dazu überprüfen wir die Aussagen der Bilddaten ganz konventionell mittels klassischer Histologie und Immunhistochemie am untersuchten und aufbereiteten Gewebe. Ein besonderes Augenmerk in der nachfolgenden Analyse legen wir dabei auch auf die Abgrenzung des Pankreastumors von der Pankreatitis, da diese Fragestellung von großer therapeutischer Relevanz ist.

Prof. Dr. Rußmann: Die UMG engagiert sich dabei in den Bereichen Biologie und Medizin. Die Firma PolyDiagnost entwickelt die Endoskope und wird sie nach dem Projekt vermarkten und PLANET AI zeichnet sich verantwortlich für die KI-basierte Bildanalyse. Die HAWK widmet sich der Bildgebung und entwickelt Systeme für Advanced Imaging, die komplexe Verfahren wie die spektrale Bildgebung und Fluoreszenzlebensdauer umfassen. Diese hochentwickelten Bildgebungsverfahren ermöglichen es, Bilder mit neuen Kontrasten zu erzeugen und präzise übereinander zu legen, sodass die räumliche Zuordnung der verschiedenen Aufnahmen exakt ist. Die so gewonnenen Bildsätze dienen dann der Firma PLANET AI als Grundlage, um künstliche Intelligenz zu trainieren.

Welche Rolle spielen Modellversuche in diesem Kontext?

Dr. Mißbach-Güntner: Modellversuche sind entscheidend für die Überprüfung der Effektivität und Genauigkeit der Technologie. Als biomedizinischer Partner stellen wir uns die Aufgabe, die Sensitivität und Spezifität des Systems zu testen und sicherzustellen, sodass es zuverlässig arbeitet. Das wichtigste Kriterium ist für uns, sicherzustellen, dass die Technologie in der Lage ist, die behandelnden Ärzt*innen bei der Diagnosestellung zu unterstützen und damit einen signifikanten Fortschritt in der Früherkennung und Behandlung von Pankreaskarzinomen zu leisten.

Welche langfristigen Auswirkungen erhoffen Sie sich für die medizinische Gemeinschaft und Patient*innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs?

Dr. Mißbach-Güntner: Die Möglichkeit einer miniaturisierten Endoskopie, die eine schonende und einfache Diagnostik ermöglicht, ist noch Zukunftsmusik. Doch die potentiellen Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Die Idee einer solch fortgeschrittenen, miniaturisierten Endoskopie, die viele, unterschiedliche Bildinformationen liefert, ist es, den medizinischen Eingriff weniger invasiv zu machen, indem sie den natürlichen Zugangswegen des Körpers folgt und dabei die Notwendigkeit für umfangreiche chirurgische Eingriffe und damit Komplikationsrisiken reduziert. Dies wäre ein bedeutender Schritt vorwärts in der medizinischen Praxis, indem es die Diagnostik und Behandlung effizienter, sicherer und patient*innenfreundlicher macht.

Bildunterschrift:
V.l.n.r.: Kay Hartkopf-Ceylan (PolyDiagnost), Dr. Jeannine Mißbach-Güntner (UMG, Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie), Dr. Andreas Eing (PolyDiagnost), HAWK-Prof. Dr. rer. nat. Christoph Rußmann (HAWK-Fakultät Ingenieurwissenschaft und Gesundheit, Dekan Gesundheit), Gundram Leifert (PLANET AI), Dr. Helge Lange (PLANET AI), Dr. rer. nat. Diana Pinkert-Leetsch (UMG, Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie), Yousif Hashisho (PLANET AI)