HAWK-Studierende haben Gemeinwohl-Beitrag von regionalen Unternehmen untersucht

Erscheinungsdatum: 01.07.2021

Geht es um wirtschaftlichem Erfolg, denken wir oft an Gewinnmaximierung, den Wert einer Aktie oder ein gutes Gehalt. Nach den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) soll sich das in Zukunft ändern. Menschenrechte, sozialer Zusammenhalt, ökologische Verträglichkeit und individuelle Entfaltung wären demnach ebenso wichtige Maßstäbe, um den Erfolg von Unternehmen oder auch öffentlichen Einrichtungen und Kommunen zu messen.

Zehn Studierende der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden Göttingen haben sich mit diesem Wirtschaftsmodell beschäftigt und regionale Firmen auf ihren Nutzen für das Gemeinwohl hin untersucht. Die Ergebnisse trugen sie nun vor Vertreter*innen der Unternehmen vor.

 


In einer studiengangsübergreifenden Lehrveranstaltung von HAWK plus lernten die Studierenden das Nachhaltigkeitsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) kennen und erfuhren, wie sie einen sogenannten „FokusGemeinwohl-Bericht“ durchführen. Dabei analysierten sie die Themenbereiche Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz und Mitentscheidung in Bezug auf verschiedene Kontaktgruppen wie Lieferant*innen oder Kund*innen. Begleitet wurde die Lehrveranstaltung von der GWÖ Regionalgruppe Göttingen. Acht Unternehmen aus der Region erklärten sich bereit, im Rahmen der Lehrveranstaltung ihren Beitrag zum Gemeinwohl feststellen zu lassen. Mit dabei waren die Pflegeeinrichtung Villa Juesheide in Herzberg, der Zimmereibetrieb Diedrich im Raum Duderstadt, die Lamprecht Verpackungen GmbH und das Unternehmen YourCar-Carsharing in Göttingen sowie Betriebe der Lebensmittelbranche (Beckers Bester, LottaKarotta – Bio-Lieferservice, Naturkost Elkershausen und Solibier Naturtrüb).

Ebenso vielfältig wie die Unternehmen sind die Fachrichtungen der teilnehmenden Studierenden: Sie studieren Forstwirtschaft, Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung, Holzingenieurwesen, Kindheitspädagogik oder Gestaltung. Nicht nur BWL-Studierende sollten alternative Wirtschaftsmodelle kennen lernen, findet GWÖ-Beraterin Susanne Schmall. „Nachhaltiges Wirtschaften muss sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig sein. Damit ist die GWÖ für viele Fachrichtungen relevant.“

Im intensiven Austausch mit den Unternehmen erstellten die Studierenden Berichte zu den Themenbereichen der GWÖ. Dabei fanden sie bei allen Firmen bereits positive Beispiele für nachhaltiges Wirtschaften. So will die Pflegeeinrichtung Villa Juesheide bis 2030 komplett CO2-neutral arbeiten, der Safthersteller Beckers Bester setzt bereits auf Ökostrom und lässt einzelne Abteilungen von Mitarbeitenden komplett selbst verwalten. Der Großhändler Naturkost Elkershausen unterstützt seine Lieferanden mit fairen Festpreisen und bei Ernteausfällen und die Firma Lamprecht Verpackungen hat sich auf nachhaltige Pflanztöpfe spezialisiert, die bis zu 500 Mal wiederverwendet werden können. Während die Firma YourCar sich mit seinem Scooter- und Carsharing-Angebot selbst als Teil der Verkehrswende sieht, hat das Startup SoliBier gleich den guten Zweck ins Zentrum des Unternehmens gestellt und unterstützt mit den Verkaufserlösen soziale und ökologische Projekte. Der Zimmereibetrieb Diedrich legt viel Wert auf Arbeitsschutz und ökologische Forstwirtschaft bei seinen Zulieferern. Außerdem ist geplant, die anfallenden Sägespäne zu Pellets zu verarbeiten und zum Heizen zu verwenden. Und der Bio-Lieferservice LottaKarotta hat schon einmal selbstständig die Preise bei einem Lieferanten erhöht und zahlt seinen Mitarbeitenden einen Fahrradkilometerbonus.

Katrin Schlick, Geschäftsführerin von LottaKarotta, beschäftigt sich schon lange mit den Thema Nachhaltigkeit. Doch auch sie hat im Austausch mit dem Forstwirtschafts-Studenten Marius Grzesko neue Aspekte in den Blick genommen. „Einige Fragen sind mir durch den Prozess erst in allen ihren Facetten bewusstgeworden, zum Beispiel die Frage, wie wir die Wahrung der Menschenrechte bei unseren Zulieferern sicherstellen können“, berichtet sie. Und besonders auf die Beteiligung ihrer Mitarbeitenden wolle sie in Zukunft noch mehr Wert legen.

Auch an die anderen Unternehmen trugen die Studierenden Verbesserungsvorschläge heran. Gerade die komplette Überwachung der Lieferketten konnten die meisten Unternehmen noch nicht realisieren. Andere waren auf Produkte aus China angewiesen, bei denen die Produktionsbedingungen fraglich sind. Weiter wurde beispielsweise ein fehlender Betriebsrat, zu wenig Beteiligung der Mitarbeitenden oder ein zu kleiner Frauenanteil unter den Beschäftigten aufgelistet.


Auch wenn die Untersuchung der Unternehmen in nur einem Semester nicht in aller Tiefe stattfinden könne, hält GWÖ-Berater Gerd Lauermann diese Art von Lehrveranstaltungen für besonders wertvoll. „Die GWÖ ist aus unserer Sicht der beste Hebel, um die Agenda 2030 umzusetzen. Gerade Hochschulen haben in dieser Hinsicht eine doppelte Strahlwirkung“, erklärt er. Denn neben den Studierenden lernten durch die Seminare auch Unternehmer*innen die GWÖ kennen. So haben mehrere Unternehmen nach der Veranstaltung Interesse an einer GWÖ-Bilanzierung gezeigt und wollen sich dazu in einer Gruppe zusammenschließen.

Und auch für die Studierenden habe sich die Lehrveranstaltung gelohnt, findet HAWK plus-Mitarbeiterin Kora Schnieders: „Der große Mehrwert liegt in dem direkten Kontakt zu Firmen in der Region und dem Praxisbezug.“ „Es war für mich eine echte Bereicherung“, betont auch Marius Grzesko. Die Möglichkeit, mit Studierenden anderer Fachrichtungen und Unternehmen Kontakte zu knüpfen, sei besonders nach drei Semestern Homeoffice eine tolle Abwechslung gewesen. Diese Möglichkeit sollen HAWK Studierende auch in Zukunft bekommen. Je nach Interesse lokaler Unternehmen soll die Lehrveranstaltung zukünftig in jedem Sommersemester angeboten werden.