Erscheinungsdatum: 18.11.2005

Niedersächsischer \\\"Arbeitskreis für Technik und Betrieb von Biogasanlagen\\\" beschäftigt sich mit Konsequenzen aus tödlichem Unfall bei Zeven

Eine defekte Klappe über der Vorgrube einer Biogasanlage war letztlich Ursache für den tragischen Unfall, der am 8. November in Rhadereistedt bei Zeven vier Menschen das Leben gekostet hat. Der Leiter des Arbeitskreises „Technik und Betrieb von Biogasanlagen“ im niedersächsischen Biogasforum, Prof. Dr. Michael Nelles, hält die Entwicklung von neuen, steuerungstechnischen Lösungen der Vorgrubentechnik für Anlagen, die zur Verwertung tierischer Abfälle zugelassen sind, für notwendig. Die vom Niedersächsischen Umweltministerium erwogenen Gaswarnanlagen seien für solche Fälle wenig hilfreich. Entwarnung gibt der Experte aber für die rund 400 Anlagen, die ausschließlich nachwachsende pflanzliche Rohstoffe verwerten.

Prof. Dr. Michael Nelles lehrt in Göttingen Umwelttechnik an der HAWK, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, FH Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Er hält die Entwicklung von neuen, steuerungstechnischen Lösungen der Vorgruben-Technik in entsprechenden Anlagen für notwendig. Zwar handele es sich bei der chemischen Reaktion bei gleichzeitig offener Klappe um eine außergewöhnlich unglückliche Verkettung von Umständen. Ohne technische Maßnahmen sei eine Wiederholung in Anlagen dieses Typs jedoch nicht auszuschließen.

Technische Schutzmaßnahmen
Prof. Nelles wird mit dem Arbeitskreis „Technik und Betrieb von Biogasanlagen“ technische Schutzmaßnahmen entwickeln und den Genehmigungsbehörden vorschlagen. So sei eine veränderte Steuerungstechnik besonders für die landesweit rund 40 Abfall verwertenden Anlagen sinnvoll, um ein Befüllen bei offener Abdeckklappe über der Vorgrube zu verhindern. Gaswarngeräte, die das niedersächsische Umweltministerium bereits kurz nach dem Unfall in Erwägung gezogen hat, sind laut Prof. Nelles nur bei langsam steigender Konzentration von Gasen hilfreich. Im vorliegenden Fall hatten laut Polizeibericht die Opfer jedoch keine Chance zur Flucht wegen der rasch eingetretenen Freisetzung. Prof. Nelles empfiehlt daher auch die Anpassung der Sicherheitstechnik für Biogasanlagen, in denen solche Abfälle behandelt werden. Außerdem hält Nelles ein Schulungssystem für die Mitarbeiter solcher Anlagen zur verstärkten Gefahrensensibilisierung für erforderlich.

Nelles weist im Zusammenhang mit dem Unglück ausdrücklich auf die beiden unterschiedlichen Typen von Biogasanlagen hin. Die Anlage in Rhadereistedt sei eine Abfall verwertende Anlage, die auch tierische Abfälle verwerten darf, während die weit überwiegende Zahl von rund 400 Anlagen allein in Niedersachsen nur nachwachsende pflanzliche Rohstoffe verarbeitet. In einer derartigen Anlage sei bisher weder ein solcher Unfall aufgetreten noch zu befürchten. Dennoch empfiehlt der Experte eine entsprechende Prüfung auf mögliche Gefahren. Auch dieses Themas wird sich der Arbeitskreis annehmen.

Ausgereifte Technik
Die Situation in Biogasanlagen, die ausschließlich pflanzliche Grundstoffe wie zum Beispiel Mais sowie Gülle verwerten, beurteilt Nelles so: „In sachgerecht mit nachwachsenden Rohstoffen betriebenen Anlagen kann solch ein Unfall so nicht geschehen.“ Selbst die oft befürchteten Geruchsbelästigungen im Umfeld von Biogasanlagen gäbe es bei vorschriftsmäßig errichteten Anlagen nicht. Prof. Nelles unterstützt daher auch weiterhin den Ausbau der Anlagen auf Basis nachwachsender Rohstoffe: „Richtig eingesetzt, ist Biogas eine umwelt- und besonders auch klimafreundliche Energie ohne hohe Risiken.“ Niedersachsen hält bundesweit die Führung an installierter Biogas-Leistung. Prof. Nelles hofft, dass sich die Zahl von bundesweit rund 3500 Biogasanlagen bis 2010 auf rund 10.000 erhöhen wird.

Polizeibericht
Laut Bericht der Polizeiinspektion Rotenburg hatte eine „Verkettung chemischer Reaktionen, deren Wirkung sich aufgrund eines Defektes im Annahmebereich der Biogasanlage entfalten konnte“, in der Anlieferungshalle eine tödliche Schwefelwasserstoff-Wolke freigesetzt. Molkerei- und tierische Abfallprodukte mit niedrigem pH-Wert vom Vortag vermischten sich an jenem Morgen in Rhadereistedt mit alkalischen, 60 Grad warmen und stark sulfidhaltigen tierischen Abfallprodukten aus einem Tanklastzug, der über Nacht auf dem Gelände gewartet hatte. Die Reaktion des regelmäßig angelieferten „Schweinedünndarmschleimes“, ein Reststoff aus der Gewinnung des Blutgerinnungshemmers Heparin in einer niederländischen Pharmaproduktion, mit den vorhandenen sauren Resten vom Vortag führte zur Bildung des konzentrierten und hoch giftigen Schwefelwasserstoffes (H2S). Dieser konnte sich in der Anlieferungshalle ausbreiten, weil eine große Klappe über der Anlieferungs- bzw. Vorgrube wegen eines defekten Elektromotors offen stand. Drei Mitarbeiter der Biogasanlage und ein niederländischer Lkw-Fahrer starben, ein weiterer Schwerverletzter ist nach mehreren Tagen im Koma inzwischen wieder ansprechbar.

Kontakt:
Prof. Dr. Michael Nelles
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst
FH Hildesheim/Holzminden/Göttingen
Fakultät Ressourcenmanagement
Fachgebiet Technischer Umweltschutz
Rudolf-Diesel-Staße 12
37075 Göttingen
Tel.; 0551/30738-11
E-Mail: michael.nelles@hawk-hhg.de

Pressestelle
Axel Jönsson
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