Zur Abschlusstagung des zweijährigen Forschungsprojekts „SchuB NDS“ (Förderung: EFRE, Land Niedersachsen, HAWK) waren rund 30 Fachkräfte aus der Schuldnerberatung, von Institutionen in der Schnittstelle zur Schuldnerberatung und Kooperationspartner des Projekts gekommen. Sie erhielten einen detaillierten Überblick über die Ergebnisse und mögliche Handlungsempfehlungen für die Praxis künftiger Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung.

Im Fokus des Forschungsprojekts stand der Nutzenaspekt einer sozialen Schuldnerberatung unter der besonderen Perspektive von Nachhaltigkeit. Das Forschungsdesign zielte somit nicht darauf ab, reine Wirkungsmechanismen der Schuldnerberatung verbunden mit möglichen Einspareffekten zu untersuchen. Vielmehr fanden in einem breiteren sozialwissenschaftlichen Ansatz sowohl quantitative wie auch qualitative Methoden Anwendung. In diesem Forschungsansatz wurden unter anderem auch ehemalige Nutzer*innen der Schuldnerberatung befragt

Ergebnisse

Zu Anfang der Veranstaltung stellte Matthias Becker Erkenntnisse aus der quantitativen Analyse der Daten vor. Grundlage für die Untersuchung bildete ein Datensatz von 27000 Fällen aus den Jahren 1998 bis 2017, welche vier Wohlfahrtseinrichtungen aus Niedersachsen zur Verfügung gestellt hatten.
Die Nutzer*innen der Schuldnerberatung waren demnach im Durchschnitt eher gering qualifiziert und rund zwei Drittel waren zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme in keinem regulären Beschäftigungsverhältnis. Das Alter betrug im Durchschnitt ca. 39 Jahre, wobei im Bereich 55+ in den letzten Jahren ein erkennbarer Anstieg zu verzeichnen ist. Das Geschlechterverhältnis unterscheidet sich kaum. Rund zwei Drittel der Nutzer*innen hatten die Schuldnerberatung auf Eigeninitiative hin aufgesucht. Für über 50 Prozent der Nutzer*innen mündete die Beratung in ein Verfahren zur „Privatinsolvenz“. Die durchschnittliche Beratungszeit hatte sich wahrscheinlich aus diesem Grund in den letzten Jahren auf 8 Monate verkürzt, lag Ende der 1990er Jahre noch deutlich höher.

 

Ein Ergebnis der quantitativen Analyse überraschte auch die anwesenden Schuldnerberater*innen: aktuell werden lediglich 69 der insgesamt rd. 220 niedersächsischen Schuldnerberatungen aus Landesmitteln gefördert. Dieser Umstand ist mit einer oftmals mangelnden Transparenz über die Finanzierungsstrukturen verbunden, die es Hilfesuchenden unnötig schwer macht, seriöse Hilfe bei der Problemlösung zu erhalten.

Anschließend präsentierten Prof. Dr. Uwe Schwarze, Lina Jäger und Daniela Hihn Resultate aus der qualitativen Teilstudie. In den Expert*inneninterviews mit 18 Fachkräften von Einrichtungen in der Schnittstelle zur Schuldnerberatung sowie mit 15 Schuldnerberater*innen fragten sie danach, welche Dimensionen von Nutzen diese in der Beratung sehen und wie sie die Aspekte der „Nachhaltigkeit“ und das „Soziale“ in Bezug auf den Verlauf der Schuldnerberatung bewerten.
Die befragten Schnittstellen betonten mehrheitlich einen mehrdimensionalen Nutzen, der sowohl einen individuellen als auch kollektiven und gesellschaftlichen Nutzen beinhaltete. Besonders hoben sie den interinstitutionellen Nutzen für sich selbst hervor, der eine enorme Arbeitsentlastung beinhaltet, etwa für Gerichte, Jobcenter, Sozialbehörden oder auch für Gläubiger, Kreditinstitute, Vermieter und Arbeitgeber.
Die Befragung der Schuldnerberater*innen ergab eine ähnliche Bewertung. Das Verständnis von „nachhaltiger Schuldnerberatung“ ist dabei aber nicht homogen, es gibt Stimmen, die den Begriff eher kritisch sehen, für andere Fachkräfte ist er für den Ansatz einer gelingenden Beratung essentiell.
Beiden Gruppen gemein ist die hohe Bedeutung, die sie den erzielten „Lerneffekten“ beimessen, die sowohl in Bezug auf den Nutzen als auch auf Nachhaltigkeit der Beratung in den Interviews beschrieben wurden. Vor diesem Hintergrund fiel auf, dass die Ursachenanalyse zu den Wegen von der Ver- in die Überschuldung im Beratungsverlauf nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der Blick ist eher nach vorn gerichtet. Erklärtes Ziel ist das schnelle Erreichen eines schuldenfreien Lebens für die Nutzer*innen, wobei mangels Daten meist ungeklärt bleibt, ob dies auch „nachhaltig“ erreicht wird.
Hier wie auch im Blick der Schnittstellen-Akteure auf die Schuldnerberatung ist eine starke Individualisierung des sozialen Problems der Überschuldung privater Haushalte zu erkennen, in der die strukturellen Ursachen (Niedrigeinkommen, Arbeitslosigkeit, Kreditmarketing, usw.) zu wenig mit einbezogen werden. In Hinblick auf die Schnittstellen ist im Projektverlauf der Eindruck entstanden, dass jede Institution doch vorrangig an den eigenen internen Abläufen festhält und es an systematischen gemeinsamen Handlungslogiken mangelt. In diesem Punkt, wie auch in einem teilweise erkennbaren überhöhten Anspruch an die eigene Arbeit, liegen besondere Risiken einer Überforderung der Schuldnerberater*innen.
Bezüglich der sozialen Komponente der Schuldnerberatung betonten alle Befragten die Wichtigkeit eines freiwilligen kostenfreien Zugangs. In der Fachlichkeit wurde eine Beratung auf Augenhöhe und eine ergebnisoffene Gesprächsführung als wichtig erachtet.

Christoph Doering übernahm die Vorstellung der Ergebnisse aus den qualitativen Interviewanalysen mit den 6 befragten Nutzer*innen. Die befragten Personen hatten aus Eigeninitiative die Schuldnerberatung aufgesucht. Gemeinsam war allen ein niedriges Einkommen und eine langjährige Überschuldung. Im Rückblick herrschte bei den Befragten eine überwiegend positive Bewertung der Beratung und Begleitung durch die soziale Schuldnerberatung - verbunden mit großem individuellen Nutzen für die Befragten. Abstrahiert wurde auch in dieser Teilstudie zugleich ein hoher gesellschaftlicher Nutzen der Schuldnerberatung deutlich. Hinsichtlich der von Schuldnerberater*innen und Schnittstellen-Akteuren stark betonten „Lerneffekte“ ergab sich kein einheitliches Bild. Empirisch belegen lassen sich aus Sicht der befragten Schuldner*innen aber eindeutig „Aha-Effekte“ und „biografisches Erfahrungslernen“, das von Schuldnerberatung initiiert, begleitet und unterstützt werden kann, so die abschließenden Befunde.

Handlungsempfehlungen

In der abschließenden Diskussionsrunde erarbeitete das Projektteam gemeinsam mit den Anwesenden erste Handlungsoptionen, um mögliche zusätzliche Beratungspotenziale zu erschließen. Dabei kristallisierte sich heraus, dass in Zukunft eine bessere Vernetzung der staatlich finanzierten Schuldnerberatungen auf vielerlei Ebenen nötig ist.
So ist z.B. für künftige Forschungsvorhaben eine kritische Reflexion und Operationalisierung von verwendeten Begrifflichkeiten zu „Ursachen“, „Auslösern“, „Beginn“, „Ende“ und „Dauer“ der Beratung sowie zu ihren „Ergebnissen“ für eine Datenauswertung wichtig. Eine Abbildung struktureller Einflüsse sowie eine Berücksichtigung eher weicher persönlichkeits-bezogener Daten und eine Dokumentation, die stärker auch Beratungsverläufe abbildet, könnten in Zukunft weitere wichtige Aufschlüsse bieten. Aus Nutzer*innenperspektive müsste dringend eine Transparenz in den Finanzierungs- und Angebotsstrukturen gewährleistet sein und ein möglichst offener und kostenfreier Zugang gesichert werden.
Ein weiterer Aspekt stellt die Werbung und das Marketing in eigener Sache dar, um einerseits die Bedeutung einer „Sozialen Schuldnerberatung“ für die Gesellschaft sichtbarer zu machen und zugleich den Stellenwert der vielfältig nützlichen Arbeit auf politischer Ebene zu vermitteln.
Aus der Runde der Anwesenden wurde zum Abschluss der Wunsch nach einer Fortführung des Projekts geäußert, da allgemein Einigkeit über das große Potenzial der Ergebnisse bestand. Eine Vertiefung einzelner Analysen würde so noch weitergehende Erkenntnisse liefern, die bei einer ergänzenden Förderung auch breiter publiziert werden könnten.