„Kairos oder die Gnade des richtigen Momentes “, hieß die Überschrift des Vortrages von Diözesan- und Dombaumeister Dipl.-Ing. Norbert Kesseler vom Bistum Hildesheim über den Planungs- und Bauprozess am Hildesheimer Dom und seinen Annexbauten. Der Titel passte auch auf das Datum des Hornemann-Kollegs, in dessen Rahmen Kesseler sprach. Wenige Wochen vor der Wiedereröffnung des Hildesheimer Doms und direkt nach dem Wiedereinbau der Bernwardtüren konnten sich mehr als 100 Interessierte im HAWK-Gebäude am Brühl direkt vom Fachmann schon einmal auf die Veränderungen im Dom einstimmen. Am 15. August wird der Dom nach fünfjähriger Bauzeit feierlich wieder eröffnet.
Aus einem kleinen Projektanfang mit der Idee, vielleicht nur den Maler zu holen, habe sich vor rund zehn Jahren Schritt für Schritt ein Großprojekt entwickelt, skizziert Kesseler die Anfänge der Domsanierung. Während der vergangenen fünf Jahre seien vor allem Veränderungen aus der Zeit des Wiederaufbaus des Doms rückgängig gemacht worden, wie der Einbau der Orgelbühne und die Treppe zum Godehardichorraum. Gemeinsam mit Priestern habe man die Schrittlängen der Treppen zum Altar vermessen, um das optimale Ergebnis für einen großflächigen gemeindenahen Altarraum zu erreichen. Ferner sei der Fußboden des Doms auf das ursprüngliche Niveau abgesenkt worden.
Vom Dom ausgehend schlossen die Planer dann das ganze Umfeld, die Annexbauten und das Dommuseum mit ein. „Eine große Herausforderung war es, diese Komplexität in eine ganzheitliche Planung zu bringen mit einem einheitlichen Charakter“, resümiert Kesseler.
Bei der Ausschreibung des Projektes im Jahr 2005 scheiterten viele der eingereichten Vorschläge am mangelnden Fingerspitzengefühl der Architekten für das Gebäude. „Die erste Runde war enttäuschend, aber wir haben einen Planer gefunden, mit dem wir das Projekt voran treiben konnten.“ Der klare und schlichte Ansatz des Entwurfes des Architektenbüros Schilling aus Köln überzeugte die Fachjury in der auch Prof. em. Martin Thumm von der HAWK sein Votum abgab.
„Der Dom zeigt sich jetzt in seiner Materialität, der Beton ist Beton, der Sandstein ist Sandstein und der Putz ist Putz. Diese Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, die der Dom jetzt ausstrahlt, tut einem Gotteshaus in jedem Fall gut“, fasst Kesseler die elementaren Veränderungen an der Weltkulturerbekirche zusammen.
Der kostbare Heziloleuchter aus dem Mittelalter wird die einzige sichtbare Lichtquelle sein. „Der Dom ist für mich eine große Gesamtinszenierung zu ‚Gott ist Licht‘ geworden. Beim Gedanken an den wunderschönen hellen Raum bekomme ich immer Gänsehaut“, so die ehrenamtliche Domführerin Jutta Düerkop nach dem Vortrag im Hornemann Institut.
„Für mich wirkt der Dom in seiner Klarheit sehr inspirierend, man kann Einkehr halten, wie man das selten in Kirchenräumen bekommt, und ich finde, es ist ein sehr gut gelungenes Experiment, das Alte mit dem Neuen zu verbinden und das auch deutlich zu machen und nicht zu historisieren“, schwärmt auch Klaus-Günther Kullig, der als Grabungstechniker bei den Ausgrabungen mitbeteiligt war.
„Ich war überwältigt von der heiligen Leere, die da entstanden ist. Der Rückriem-Altar war noch nicht ausgepackt, aber man kann sich vorstellen, wie das Gesamtambiente aussieht“, so HAWK-Professorin und Architektin Annegret Droste begeistert von ihrem ersten Blick „durch den Bauzaun“. Besonders beeindruckt war sie von der Idee, auf der Längsachse die sehr bedeutenden mittelalterlichen Ausstattungsgegenstände systematisch anzuordnen.
„Mit diesem Wissen wird man in einigen Wochen den Dom ganz anders erleben“, bedankte sich Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Institutes, über die einmalige Einstimmung auf die Veränderungen im Dom, an der sich die HAWK auf unterschiedlichste Weise beteiligt hatte.
Die HAWK stellte mit Prof. Martin Thumm und Prof. Dr. Christoph Gerlach zwei Mitglieder eines Beratergremiums für die baulichen Maßnahmen am Weltkulturerbe. Restauratorin und Professorin Dr. Nicole Riedl präparierte zwei Stucktympana aus dem 9. Jahrhundert und entwickelte ein Restaurierungskonzept. Im Rahmen ihrer Master-Thesis an der HAWK untersuchte Restauratorin Roksana Jachim die rund 600 Jahre alte Tintenfassmadonna und konzipierte eine Restaurierung, die sie seit ihrem Examen auch realisiert. Die Baumkundler des Studienganges Arboristik in Göttingen, Prof. Dr. Rolf Kehr und Prof. Dr. Steffen Rust, begutachteten den „grünen Kreuzgang“ und stimmten für den Erhalt.
Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Domsanierung und dem HAWK-Bauprojekt Campus Weinberg hatte HAWK-Kanzler Dr. Marc Hudy schon zu Beginn der Veranstaltung in seiner Rede augenzwinkernd konstatiert. „Die Gnade des richtigen Moments für so eine Entscheidung und Unvorhergesehenes in der Bauphase kommen mir sehr bekannt vor“, so Hudy und fügte lachend hinzu: „Ich habe gelesen, dass vielleicht auch unerfüllte Wünsche des Bauherrn eine Rolle spielen, das kommt mir natürlich nicht bekannt vor….“
Der Vortrag wurde vollständig aufgezeichnet und kann ab Augustauf www.hornemann-institut.de/german/2114.php angeschaut werden.